étoile
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Ich reise, also tue ich Gutes
Der Tsunami und die Touristen: Die Schriftstellerin Sybille Berg hat Sri Lanka bereist und erkannt, daß Luxus für alle die Welt retten kann
von Sybille Berg
"Da hinten bei dem Felsen ist Anuradhapura, ein Weltkulturerbe", sagt die Rezeptionistin des "Kandalama Hotels". Das könnte ich besichtigen, und vermutlich gibt es nichts gegen Besichtigen einzuwenden. Herren mit Panamahüten und Notizblöcken tun ja keinem was. Auch Vogelbeobachter kommen in Sri Lanka völlig auf ihre Kosten. Sie können beobachten bis zur Besinnungslosigkeit. Dringend abzuraten ist dagegen von einer weitergehenden Besichtigung des Landes, denn das läßt sich einen ein wenig merkwürdig fühlen in dieser Luxus-Dschungel-Lodge, die ich unbedingt sehen wollte, ehe ich sterbe.
Es gibt ja so Dinge, die will man sehen und weiß gar nicht genau warum. Das "Kandalama Hotel" hatte ich in einer alten englischen Zeitschrift entdeckt. Schwarzweißbilder, Beton, Bauhausstil, das will ich sehen, dachte ich, und weiter dachte ich nicht. Nun kommt man ja nicht jeden Tag in Sri Lanka vorbei, und so brauchte es einige Zeit, bis ich mir noch andere Gründe für einen Besuch zurechtgelegt hatte.
Die Bilder, die das Land bis dahin bei mir auslöste, hatten mit weißgekleideten Menschen auf Elefanten und mit Ceylon zu tun. Tee, grüne Hügel, so etwas.
Tee gibt es. Ihn zu pflücken, ist ein schlecht bezahlter Scheißjob. Das Grün ist auch reichlich vorhanden, dazwischen jedoch 17 Millionen Menschen auf nicht sehr viel bewohnbarem Raum mit allem, was dazugehört. Vielleicht wäre es besser, es bei den Bildern im Kopf zu belassen.
Wenig wurde nach dem Tsunami über die Auswirkungen auf die Einheimischen berichtet. Immer wieder ein Rätsel der Medienwelt, wie schnell Ereignisse auftauchen, die Zeitungen und unsere Gespräche füllen und danach verschwinden, als sei nie etwas geschehen.
Was weiß man jetzt über die Erdbebengeschichte in Pakistan, was über die Leute, die in Madrid bei den Attentaten wenn nicht das Leben, so doch Familie oder Gliedmaßen verloren hatten? Wie sieht das aus, wenn in einem armen Land noch mehr Mist passiert? Ein Jahr langt doch da für nichts. Und so fuhr ich zuerst in den Süden, über den der Tsunami rollte, um zu sehen, was man sonst nicht mehr zu sehen bekommt.
Die gesamte Südostküste des Landes besteht aus Ruinen und den Massengräbern, in denen die 40 000 Todesopfer begraben liegen. Gespenstisch sieht das aus, das Meer so nett direkt neben der Straße, die Palmen, wenige hoch genug, als daß sie bei der sieben Meter hohen Welle hätten Schutz bieten können, und der strahlend blaue Himmel dazu.
Wenn man möchte, kann man sich auch an den Brücken erfreuen, die neu errichtet werden, an den Häusern, die gebaut werden, den Hotels, die schon wieder in Betrieb sind, und an den Touristen, die in Bikinis und Badehose an den Ruinen vorüberlaufen.
Wenigstens sind sie wieder da, kann man sich sagen, wenn man nicht aus Versehen von der Küstenstraße abbiegt. Da stehen Tausende Notunterkünfte, immer noch, nach einem Jahr; sitzen Familien in Zelten und in Holzhütten, meist fünf bis acht Leute, teilen sich 20 Quadratmeter feuchten Holzes, stickiger Plane und rauchiger offener Feuerstellen. Sie warten auf die von der Regierung versprochenen 2500 Dollar, um ein neues Haus zu bauen, selbst wenn ein noch so winziges neues Haus erst ab 5000 Dollar zu haben ist. Ein Teil der Spendenmillionen aus dem Westen kam zwar an; es werden neue Schulen errichtet, Hotels wieder aufgebaut, Tuk-Tuks und Boote gibt es mehr als Fahrer und Fischer, aber vieles ging, wie eigentlich meist bei Naturkatastrophen in Ländern der dritten Welt, durch Mißwirtschaft an falsche Orte. Entfernt man sich in Unawatuna und Hikkawuda, den Ballermännern der Region, von den Touristenhauptstraßen, fragt man sich unweigerlich: Was, bitte, habe ich hier zu suchen?
In den Hotels tummeln sich Europäer und Australier, die Sorte, denen Indien zu laut geworden ist, und machen Yoga und Sonnengruß, meditieren und lassen sich für zehn Dollar stundenlang massieren. Sie feilschen wie gehabt um ein paar Euro, beklagen sich über die Moskitos und daß alle einen anbetteln, als ob sie dächten, jeder Ausländer sei ein Millionär.
http://www.wams.de/data/2006/03/26/864144.html
Der Tsunami und die Touristen: Die Schriftstellerin Sybille Berg hat Sri Lanka bereist und erkannt, daß Luxus für alle die Welt retten kann
von Sybille Berg
"Da hinten bei dem Felsen ist Anuradhapura, ein Weltkulturerbe", sagt die Rezeptionistin des "Kandalama Hotels". Das könnte ich besichtigen, und vermutlich gibt es nichts gegen Besichtigen einzuwenden. Herren mit Panamahüten und Notizblöcken tun ja keinem was. Auch Vogelbeobachter kommen in Sri Lanka völlig auf ihre Kosten. Sie können beobachten bis zur Besinnungslosigkeit. Dringend abzuraten ist dagegen von einer weitergehenden Besichtigung des Landes, denn das läßt sich einen ein wenig merkwürdig fühlen in dieser Luxus-Dschungel-Lodge, die ich unbedingt sehen wollte, ehe ich sterbe.
Es gibt ja so Dinge, die will man sehen und weiß gar nicht genau warum. Das "Kandalama Hotel" hatte ich in einer alten englischen Zeitschrift entdeckt. Schwarzweißbilder, Beton, Bauhausstil, das will ich sehen, dachte ich, und weiter dachte ich nicht. Nun kommt man ja nicht jeden Tag in Sri Lanka vorbei, und so brauchte es einige Zeit, bis ich mir noch andere Gründe für einen Besuch zurechtgelegt hatte.
Die Bilder, die das Land bis dahin bei mir auslöste, hatten mit weißgekleideten Menschen auf Elefanten und mit Ceylon zu tun. Tee, grüne Hügel, so etwas.
Tee gibt es. Ihn zu pflücken, ist ein schlecht bezahlter Scheißjob. Das Grün ist auch reichlich vorhanden, dazwischen jedoch 17 Millionen Menschen auf nicht sehr viel bewohnbarem Raum mit allem, was dazugehört. Vielleicht wäre es besser, es bei den Bildern im Kopf zu belassen.
Wenig wurde nach dem Tsunami über die Auswirkungen auf die Einheimischen berichtet. Immer wieder ein Rätsel der Medienwelt, wie schnell Ereignisse auftauchen, die Zeitungen und unsere Gespräche füllen und danach verschwinden, als sei nie etwas geschehen.
Was weiß man jetzt über die Erdbebengeschichte in Pakistan, was über die Leute, die in Madrid bei den Attentaten wenn nicht das Leben, so doch Familie oder Gliedmaßen verloren hatten? Wie sieht das aus, wenn in einem armen Land noch mehr Mist passiert? Ein Jahr langt doch da für nichts. Und so fuhr ich zuerst in den Süden, über den der Tsunami rollte, um zu sehen, was man sonst nicht mehr zu sehen bekommt.
Die gesamte Südostküste des Landes besteht aus Ruinen und den Massengräbern, in denen die 40 000 Todesopfer begraben liegen. Gespenstisch sieht das aus, das Meer so nett direkt neben der Straße, die Palmen, wenige hoch genug, als daß sie bei der sieben Meter hohen Welle hätten Schutz bieten können, und der strahlend blaue Himmel dazu.
Wenn man möchte, kann man sich auch an den Brücken erfreuen, die neu errichtet werden, an den Häusern, die gebaut werden, den Hotels, die schon wieder in Betrieb sind, und an den Touristen, die in Bikinis und Badehose an den Ruinen vorüberlaufen.
Wenigstens sind sie wieder da, kann man sich sagen, wenn man nicht aus Versehen von der Küstenstraße abbiegt. Da stehen Tausende Notunterkünfte, immer noch, nach einem Jahr; sitzen Familien in Zelten und in Holzhütten, meist fünf bis acht Leute, teilen sich 20 Quadratmeter feuchten Holzes, stickiger Plane und rauchiger offener Feuerstellen. Sie warten auf die von der Regierung versprochenen 2500 Dollar, um ein neues Haus zu bauen, selbst wenn ein noch so winziges neues Haus erst ab 5000 Dollar zu haben ist. Ein Teil der Spendenmillionen aus dem Westen kam zwar an; es werden neue Schulen errichtet, Hotels wieder aufgebaut, Tuk-Tuks und Boote gibt es mehr als Fahrer und Fischer, aber vieles ging, wie eigentlich meist bei Naturkatastrophen in Ländern der dritten Welt, durch Mißwirtschaft an falsche Orte. Entfernt man sich in Unawatuna und Hikkawuda, den Ballermännern der Region, von den Touristenhauptstraßen, fragt man sich unweigerlich: Was, bitte, habe ich hier zu suchen?
In den Hotels tummeln sich Europäer und Australier, die Sorte, denen Indien zu laut geworden ist, und machen Yoga und Sonnengruß, meditieren und lassen sich für zehn Dollar stundenlang massieren. Sie feilschen wie gehabt um ein paar Euro, beklagen sich über die Moskitos und daß alle einen anbetteln, als ob sie dächten, jeder Ausländer sei ein Millionär.
http://www.wams.de/data/2006/03/26/864144.html