Leben in vier Quadratmeter großen Holzkisten

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Geister und Geröll Die Hagenowerin Christin Lidzba leitet den Wiederaufbau in Kudawella Ernüchternde Bilanz neun Monate nach dem Tsunami

Die Hagenowerin Christin Lidzba leitet den Wiederaufbau in Kudawella Ernüchternde Bilanz neun Monate nach dem Tsunami
Die Schauplätze der Naturkatastrophen verlagern sich schneller als sich ihre Spuren beseitigen lassen. Während der Hurrikan "Katrina" durch die Weltöffentlichkeit fegt, dauert in den Tsunami- Gebieten die Not an. Die Hagenowerin Christin Lidzba hilft seit Mai als Programm-Managerin in Sri Lanka beim Wiederaufbau (wir berichteten). Auch neun Monate nach der Flutwelle zieht die 29-Jährige eine ernüchternde Bilanz.

Von Helge Ahrens


Kristallklares Wasser und romantische Buchten, Palmen beugen sich über weiße Puderstrände. Die Bilder im Süden Sri Lankas – links und rechts von Kudawella – sind gemacht "für den Neckermann-Katalog", sagt Christin Lidzba und lacht als wäre es ein schlechter Scherz. Ihre Realität liegt zwischen diesen Traumstränden. Kudawella, das Fischerdorf, taucht in keinem Reisekatalog auf. Auch hier ist das Meer strahlend blau, wenn keine Regenzeit ist. Auch hier, auf der von Wasser umspülten Landzunge, gibt es lange Strände. Doch die sind nicht mit Palmen, sondern mit Geröll übersät. Nackte Fundamente und Mauerreste zeugen von den 350 Häusern, die hier noch vor neun Monaten aufragten. Nur wenige hielten den Wassermassen stand.

Als die Flutwelle im Dezember auf die Landzunge zurollte und durch die Lagune weit ins Innere vorwälzte, wurde die Stadt förmlich verschlungen. Boote, Häuser, Schule, Märkte, Krankenhaus: zerstört. Mehr als der Hälfte der 6000 Einwohner wurde die Lebensgrundlage genommen. Mindestens 56 starben.


Leben in vier Quadratmeter großen Holzkisten
Auch neun Monate nach der Katastrophe ist Kudawella wie traumatisiert. Noch sind nicht alle Trümmer geräumt. In einem Notcamp hausen 120 Familien in jeweils vier Quadratmeter großen Kisten. Die Fischer warten auf neue Boote. Nahrungsmittel kommen aus der Hauptstadt Colombo…

Christin Lidzba ringt täglich darum, die Einwohner Stück für Stück ins Leben zurückzuführen. Mit "Aufbruchstimmung, Zuversicht und ein bisschen Spannung" ist die Hagenowerin im Mai als Programm-Managerin für die Christoffel-Blindenmission (CBM) ins Krisengebiet gereist. Die 29-Jährige leitet als einzige Ausländerin ein 15-köpfiges Team, das den Wiederaufbau langfristig organisieren soll. Sie selbst nennt sich "Feuerwehr".

Die zierliche Blondine verwaltet das Chaos, weist ihre Mitarbeiter ein, bespricht Strategien, klappert Baustellen ab, bespricht sich mit Kollegen anderer Hilfsorgansationen, verhandelt mit der Regierung.

Der Wiederaufbau der Häuser verläuft schleppend. Erst vor vier Wochen konnten Baufirmen und Helfer richtig loslegen. Die Regierung hat eine 100-Meter-Zone zum Meer geschaffen, in der nicht gebaut werden darf. 350 Familien, die in der jetzigen Geröllwüste lebten, müssen umziehen. Die CBM will 190 barrierefreie Häuser etwa fünf Kilometer außerhalb der Stadt errichten. Doch von den geplanten Neubauten fehlt jede Spur. Nur ein Musterhaus ist fertig. Von 120 Häusern sind erst 44 repariert.

In dem Bürgerkriegsland, in dem die Regierung am Streit über die Tsunami-Hilfe zerbrach, hemmen Bürokratie und Machtpolitik den Wiederaufbau. Die Regierung in Colombo müsse für jedes neu zu bauende Haus Land zuteilen und es den Bewohnern zuweisen. Einige Bürokraten wollen bestimmte Klienten unterbringen, anderen passt es nicht. Zusagen, wie Strom in den Straßen, würden nicht eingehalten. "Das sind zähe Verhandlungen, für die ich zuständig bin", sagt Christin Lidzba.

Die Einwohner haben wenig Verständnis für politische Debatten und Genehmigungsgerangel, wenn sie mit vier Personen in einer "Holzkiste" leben müssen, sagt die Mecklenburgerin. Der Tsunami hat die Gemeinschaft in Kudawella, dem "Klein Chicago von Sri Lanka", auseinandergerissen.

Ehemalige Strandbewohner sträuben sich gegen den Umzug, es gibt persönliche Querelen und Glaubensfragen, mit denen sich Christin Lidzba beschäftigen muss. So darf die Küche in den Neubauten nicht Richtung Westen liegen, weil dort die Toten begraben liegen. Die Toilette darf traditionell nicht ins Haus integriert sein.


"Entwicklungshilfe-Profi" mit gerade 29 Jahren
Mit gerade 29 Jahren ist Christin Lidzba bereits ein Profi. "Entwicklungshelferin" – das Wort mag sie nicht. "Beraterin in der Entwicklungszusammenarbeit" beschreibt die Sozialwissenschaftlerin nach einigem Zögern ihren Beruf. Schon als 14-Jährige verkaufte sie in der Kirchgemeinde Produkte aus Afrika, leitete später in Bielefeld einen Eine-Welt-Laden.

In Sri Lanka ist sie inzwischen seit zwei Jahren im Einsatz. Seit Juni 2003 arbeitete sie für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit im Landesinneren, nach der Flutwelle wurde daraus Nothilfe an der Küste. Die CBM warb die Deutsche ab, "weil sich niemand so gut in Sri Lanka auskannte", sagten sie ihr. CBM-Sprecherin Ulrike Loos beschreibt Christin Lidzba als "taffe Frau, die weiß, was sie will und es auch durchsetzen kann". Und sie halte an dem Standpunkt fest: "Hilfe gibt es nicht umsonst. Jeder muss mithelfen."

Die Mecklenburgerin lebt in dem zerstörten Tropenparadies. Nach Feierabend trifft sie Freunde oder springt ins Meer. "Für mich ist es Arbeit", sagt sie nüchtern. Mal mache es Spaß, mal weniger. Gerade konnte sie ihre Arbeitsstätte für zwei Wochen hinter sich lassen. Heimaturlaub in Deutschland. Sie erstattete in der CBM-Zentrale in Bentheim Bericht, erholte sich drei Tage auf dem Darß. Dann ging es zurück.

Christin Lidzba weiß, dass mehr als tausende Kilometer zwischen Deutschland und Sri Lanka liegen. Der Tsunami ist dem öffentlichen Interesse entrückt. "Es gibt Wahlen, den Hurrikan in den USA und andere Ereignisse", sagt sie. Es klingt frustriert.


Am Anfang von Helfern überschwemmt
Wie lange muss eine Katastrophe zurückliegen, um langsam aus dem kollektiven Gedächtnis zu verschwinden? Anfang des Jahres, als die Spendenlawine noch massiv rollte, hatten unzählige Hilfsorganisationen die Katastrophengebiete überschwemmt, berichtet die 29-Jährige. Die Regierung verpasste die Koordinierung, die Helfer suchten selbst nach Projekten, die schnellen, sichtbaren Erfolg versprachen. Auch in Kudawella. Hier wurden Wasseraufbereitungsanlagen installiert, Geld floss in den Schulneubau. Organisationen stellten den Bewohnern viele Fragen, versprachen viel und kamen nie wieder.

Zwischenzeitlich hätten die Helfer zusammen den Neubau von 12000 Häusern im Bezirk angeboten, hat die Mecklenburgerin ausgerechnet. Benötigt werden nur 6000. "Aus der Perspektive der Einwohner sind die Entscheidungen vieler Hilfsorganisationen unverständlich." Die Christoffel-Blindenmission blieb. Kaum einer wagte sich sonst an das auf Hochseefischerei spezialisierte Dorf heran, erklärt die Hagenowerin. Den Fischern in anderen Dörfern konnte schnell mit einer Flut kleiner Boote geholfen werden. Doch ein Kutter für Hochseefischerei kostet 40000 Euro, bedeutet allerdings Arbeit für zehn Familien. 23 dieser Trawler will die CBM mit Spenden ersetzen. Sie werden derzeit in den Werften bei Colombo gebaut.


Niemand wagt es, am Meer zu übernachten
Die seelischen Wunden sind schwieriger zu heilen als die physischen. Die Furcht ist in Kudawella noch immer allgegenwärtig. In die wenigen Häuser am Strand, die den Fluten standhielten, kehren tagsüber einige Menschen zurück. Damit die Geister nicht einziehen, sagen sie. Am Abend fliehen sie zu Angehörigen. "Keiner bringt es fertig, am Meer zu übernachten", sagt Christin Lidzba. Ein psychologisches Betreuungsprogramm soll den Einwohnern helfen. Sozialarbeiter leisten Trauerarbeit für Tsunami-Opfer, die ihre Familie verloren haben, organisieren Gruppentherapien.

Rückkehr zur "Normalität" – so heißt die vierte Hilfsphase der CBM, nach Nothilfe, Eingliederung und langfristigem Wiederaufbau. Die Bilanz, die Christin Lidzba zieht, klingt so: "Wir haben viel erreicht. Das heißt aber nicht, viel geholfen, sondern Hilfe möglich gemacht."

In Kudawella werden die bösen Geister Stein für Stein, Boot für Boot ausgetrieben. Die "Normalität" liegt noch weit entfernt.

http://www.svz.de/newsmv/MVVermischtes/12.09.05/2277070/2277070.html

da sind wieder die kritischen geister, die keiner erhören will. nach 9 mnaten immer noch nix passiert und alle sind ja soooooo stolz auf das vollbrachte
 
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