denkt bitte mal drüber nach.......

Hänschen

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Naturkatastrophen und unser Umgang damit


Am liebsten hätte ich einfach abgeschaltet. Nichts mehr hören und vor allem nichts mehr davon sehen. Irgendwann in der vergangenen Woche hatte mich dieser Impuls erfasst. Zu Kriegsbildern aus Afrika, Vogelgrippe und Flüchtlingsschicksalen hatte mein Inneres begonnen, sich unangenehm zu winden. Und dann kam das Wasser. Sintflutartige Regenfälle in Guatemala. Fluten, wie sie meterhoch durch Ortschaften rauschen. Sie hatten den Ausschlag gegeben. Die Fernseh-Bilder riefen meine Bilder wach, Erinnerungen an das, was ich vor zehn Monaten selber erlebt hatte. Am 26. Dezember und danach in Sri Lanka. So deutlich konfrontiert mit den Tsunami-Erfahrungen hätte ich am liebsten auf den Aus-Knopf gedrückt. Mich befreit aus dieser Falle der Hilflosigkeit und Überforderung. Aber Weggucken hilft ja nicht. Ich weiß ja, dass die Sachen dennoch passieren.

Overload, kommentierte eine Freundin. Angesichts der Katastrophen könne es einem ja auch zuviel werden. Nach dem Tsunami, hatte es im Juli - schon fast vergessen – Überschwemmungen in Indien gegeben, im August in Süddeutschland, der Schweiz und Österreich. Bald darauf brachen die Deiche von New Orleans, und der Hurrikan "Katrina" fegte über die Stadt. Von "Stan" und Guatemala ist kaum mehr etwas zu hören, denn eine weitere Jahrhundertkatastrophe hat sich ereignet. Das Erdbeben in Pakistan und Indien. Doch verglichen mit der wochenlang andauernden Informationsflut zum Tsunami oder zu New Orleans, ist die jetzige Katastrophe medial nahezu nebensächlich vertreten. Warum das? Weil viele von uns schon mal in Pukhet am Strand lagen oder auf den Malediven zum Surfen waren? Weil also persönliche Nähe betroffener macht und spendabler in den Geldbeutel greifen lässt. (Zumal damals ja gerade auch Weihnachten, das Fest der Liebe war.) Währenddessen Kaschmir zwar als Paradies gilt, es nur kaum einer von uns gesehen hat. Eine islamisch geprägte, umkämpfte Gegend. Terra incognita - auch für Redakteure.

Hilfsgüter gelangen derzeit per Hubschrauber in die unzugänglichen Gebirgsregionen, von dort erreichen uns wenige Fernsehbilder. Hatte der Tsunami die Toten gut sichtbar an den Stränden hinterlassen, so liegen sie nun unter den Trümmern der Krankenhäuser oder Schulen begraben.

Werde ich etwas spenden, habe ich mich nach dem ersten Bericht aus dem Erdbeben-Gebiet gefragt. Eine irritierende, beschämende Frage, angesiedelt zwischen einem "Ich möchte helfen" und dem Bewusstsein darüber, mit einer Spende (in einer weit ausgestreckten Hand) gleichzeitig irgendwie auch das Leiden möglichst von mir entfernt halten zu wollen. Dabei hatte ich doch gerade durch den Tsunami gelernt, dass wir Menschen auf der Welt miteinander verbunden sind. Entsprechend engagiere ich mich in Sri Lanka. Und nun? Gilt diese Verbundenheit nicht ebenso für Pakistan, Indien oder Guatemala. Was wäre von einer Menschlichkeit zu halten, wenn sie nicht teilbar ist?

Katastrophen sind (auch) Überforderungen für uns. Sie passieren, sind Teil der Natur. Wir Menschen sind Teil des Szenarios, oftmals Ausgelieferte. Nun ist Ohnmacht in unserer Welt des Machens schwer hinzunehmen. Und dass wir hierzulande die Katastrophen im Fernsehen mit ansehen können, die andernorts geschehen, hat unsere Ohnmacht ja leider nicht verringert.

Die Dimension einer Katastrophe reicht weit über uns hinaus. Dadurch werden die eigenen Grenzen empfindlich deutlich. Ich musste in Sri Lanka erfahren, wie wenig ich mein Leben selber in der Hand hatte - und durch Glück überlebte. Umgekehrt könnte das ja heißen, die Gelegenheiten, wo wir mitfühlen oder handeln können, tatsächlich wahrzunehmen. Oder die Katastrophen auch zu verstehen, als eine immense Aufforderung, weiter zu fragen, weiter zu denken.

http://www.mdr.de/mdr-figaro/journal/2212566.html
 
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