Zelte, Zelte ........in Manmunai

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Immer noch hausen die Menschen in Zelten

Erst blockierten die Behörden, nun streiten sich die örtlichen Helfer: Ein halbes Jahr nach dem Tsunami hat sich in Manmunai nur wenig gebessert

VON CHRISTINE MÖLLHOFF (BATTICALOA)



Selbst zum Schlafen ist es zu heiß. Oft stundenlang wälzt sich Hilmiya Banu nachts umher, ohne ein Auge zuzumachen. Manchmal nickt sie ein, doch dann weckt die Hitze sie wieder. Wie die anderen schläft die 22-jährige Muslimin auf einer Bastmatte im Freien, trotz der Schlangen, die im Dunkeln umherkriechen. Zwei Campbewohner wurden bereits gebissen. Aber in den Plastikzelten ist es überhaupt nicht zum Aushalten. Dort staut sich die Hitze wie in einem Backofen, schon nach wenigen Minuten ist man schweißgebadet.

Dabei waren die Menschen glücklich, nach Manmunai zurückzukehren. Der Flecken liegt wenige Kilometer entfernt von der Stadt Batticaloa an der Ostküste Sri Lankas. Dort hatte die kleine Muslim-Gemeinde bereits bis 1990 gelebt, bevor sie nach Spannungen mit tamilischen Nachbarn ans Meer umgesiedelt war. Der Tsunami hat nun ihr Dorf am Strand zerstört und sie zurückgebracht auf das Land, auf dem schon ihre Eltern und Großeltern lebten. Das bedeutet viel in Sri Lanka. Am Boden sieht man vereinzelt noch die Fundamente der alten Häuser.


Das Dorf, ein trostloser Anblick

Doch auch sechs Monate nach der Flutkatastrophe hausen die Familien weiter in Zelten. Wenn man die holprige Teerstraße zum Camp entlang kommt, bietet sich ein trostloser Anblick. Ungeschützt stehen die 29 blauen und weißen Zelte auf dem freien Feld in der Sonne. Manche sind zusammengestürzt oder zerfetzt, andere leer. Dazwischen flitzen Küken und Hühner umher. Nun in der Mittagshitze dösen Frauen und Kinder unter einem Tuch, das an ein paar Stöcken aufgespannt ist. Es bietet nur kläglichen Schatten.

"Wir sind verzweifelt", sagt Hilmiya Banu und rückt ihr Tuch zurecht, das sie lose über das Haar gelegt hat. Die anderen Frauen nicken. Dabei schien alles eigentlich auf bestem Wege: Die Hilfsorganisation medico international will den Bau von Übergangshütten finanzieren, die lokale Hilfsorganisation SEED soll das Dorf vor Ort betreuen. Doch immer neue Probleme behindern das Vorhaben.

Von den fast 50 Familien, die hier nach der Flut Zuflucht fanden, sind nur noch 13 da. Die anderen konnten das Zeltleben nicht mehr ertragen, sind lieber zu Verwandten geflüchtet und warten dort, dass es endlich vorangeht. Immerhin reichen nun die drei Toiletten aus. Die Hitze, das Warten zermürbt. Die Tage schleppen sich zäh dahin, nur unterbrochen von den Mahlzeiten und den fünf Gebeten am Tag. Dafür wurde eigens eine Moschee aus Wellblech und Holzbrettern errichtet.

Es ist ein Leben mit Provisorien: Als Waschstelle dient ein Brunnen, drei Wellblechwände schützen vor Blicken. Morgens gehen zunächst die Männer, von halb acht bis halb neun die Frauen. Die gelbe Brühe, die am Grund schwappt, sieht ungesund aus, aber es gibt nichts anderes. Nur Trinkwasser wird in Wassertanks angekarrt. Gekocht wird auf Feuerstellen aus Ziegelsteinen, ein paar an Drähten gespannte Glühbirnen liefern nachts notdürftig Licht im Camp. Einige der Männer gehen tagsüber Fischen oder Aushilfsjobs nach, um ein bisschen Geld zu verdienen. Die Frauen kümmern sich um das Vieh, verdösen die Zeit und warten, dass das Leben wieder beginnt.

Als die Helfer von Seed vorbeikommen, haben sie nur eine Frage: Wann endlich der Bau der Übergangsheime beginnt? Entmutigt hat eine der Frauen bereits Ende Mai einen Brief an Seed geschrieben: "Ich glaube nicht mehr, dass es ein Projekt für den Bau von Übergangshütten geben wird. Deshalb bitte ich darum, mir eine Übergangshütte in Ollikulam zuzuweisen."


Zwei Kilometer weiter: das Paradies

Das Dorf Ollikulam liegt nur wenige Kilometer entfernt, aber den Menschen in Manmunai erscheint es beinahe wie ein Paradies. Dort hat Seed mit der holländischen Organisation Cordaid bereits im März 230 Übergangshütten für eine muslimische Gemeinde errichtet, die gleichfalls durch die Flut vom Strand vertrieben wurde: Feste kleine Häuser mit Zementboden, Ziegeldächern sowie Wänden aus Wellblech und Palmwedeln, die Schutz gegen die Sonne bieten und ein normales Leben ermöglichen. Durch die kleinen Fenster weht ein kühler Luftzug ins Innere.

Doch in Manmunai gestalten sich die Dinge schwieriger. Erst verweigerten die Behörden über Monate die Bauerlaubnis, vermutlich unter anderem, weil das Gelände an sensibles Gebiet grenzt: Gegenüber liegt ein Armeecamp, wenige hundert Meter weiter beginnt Rebellengebiet. Dann, am 1. Juni, gestatteten die Behörden zwar endlich den Bau. Doch nun gibt es neue Probleme.

Nach internen Konflikten hat sich das Büro von Seed in Batticaloa von der Hauptstelle im nördlichen Vavuniya getrennt - und will künftig eigenständig weiterarbeiten. Medico hat dagegen bisher mit der Hauptstelle in Vavuniya und ihrem Leiter Nava Singham zusammengearbeitet, der neben Englisch auch fließend Deutsch spricht. Nicht nur der Projektvertrag ist auf die Hauptstelle ausgestellt, sondern laut medico auch die Bauerlaubnis für die Übergangshütten. Dies muss nun alles geändert werden.

Seed-Batticaloa muss sich dafür aber erst als neue Hilfsorganisation registrieren lassen. Das Büro in Batticaloa wurde erst am 1. März eröffnet. Zwar verfügt es über Telefon, Internet sowie vier Angestellten und fünf freiwillige Helfer. Doch es muss auch eine eigene Verwaltung aufbauen und Konten eröffnen, um den Spendentransfer abzuwickeln. Dazu gesellt sich ein ganz praktisches Problem: Der Leiter in Batticaloa, Ganesh, spricht kaum Englisch - das erschwert den Austausch.


Bei medico ist man nicht glücklich über die jüngste Entwicklung. "Wir werden alles versuchen, um das Projekt in Manmunai zu retten", sagt Pressesprecherin Katja Maurer. Zumindest die Übergangshütten sollen die Menschen bekommen, doch ob wie geplant ein mehrjähriges Rehabilitationsprojekt zustande kommt, müsse angesichts der neuen Umstände geprüft werden. Anfang Juli wollen medico-Mitarbeiter nach Sri Lanka reisen, um mit Ganesh die Lage zu besprechen.

Es ist nicht der erste Rückschlag. Eigentlich wollten medico und Seed das Fischerdorf Navalady an der Ostküste betreuen, doch dann gaben die Behörden einer tamilischen Hilfsorganisation den Vorzug. Auch Hilfe ist ein Minenfeld, zumal im unruhigen Osten der Insel, wo Regierung und Tamilen-Rebellen der LTTE um die Vormacht ringen - und ethnisch-religiöse Konflikte zwischen Tamilen, Singhalesen und Muslimen schwelen.

Im Osten der Insel erlebt man ein anderes Gesicht Sri Lankas, das wenig gemein hat mit den sicheren Urlaubsregionen, mit den friedvollen Ayurveda-Resorts im Südwesten. Der Osten ist ein Flickenteppich, eingeteilt nach militärischer Macht: einige Gebiete kontrolliert die Armee, gleich nebenan herrscht die LTTE. Beinahe ein wenig gespenstisch wirkt nachts die Fahrt durch einsames Dschungelland in den Distrikt Batticaloa hinein. Soldaten halten den Wagen an, fragen nach Reiseziel und Grund, kontrollieren die Papiere. Ihre automatischen Gewehre haben sie lässig geschultert oder wiegen sie vor dem Bauch. "Amerikanisch", sagen sie stolz und klopfen auf die Waffen.


Auf die Armee folgen die Rebellen

Nur wenige hundert Meter weiter folgt der nächste Checkpoint. Doch diesmal ist es nicht die Armee, sondern es sind die LTTE-Rebellen. Ein dünner Junge in einer schlottrigen Pseudouniform, das Gewehr ungelenk in der Hand, schaut schüchtern ins Auto und fragt auf Tamilisch, nach Wohin und Warum. Er ist vielleicht 14, bestenfalls 16 Jahre alt. Unwillkürlich denkt man an Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen, dass die LTTE Kindersoldaten rekrutiert. Bis nach Batticaloa reiht sich nachts Checkpoint an Checkpoint. Ausländer, weiße zumal, haben wenig zu befürchten. Soldaten und Rebellen haben strengste Order, sie respektvoll zu behandeln. Doch Einheimische berichten von Demütigungen, trotz Waffenstillstands kommt es immer wieder zu Anschlägen und Morden an politischen Gegnern. Batticaloa selbst gleicht einer besetzten Stadt. Fast an jeder Ecke sind Soldaten postiert, immer wieder sieht man mit Sandsäcken gesicherte Posten.

Es sind die Menschen, die unter dem Konflikt leiden. Der Osten und der von der LTTE kontrollierte Norden hinken dem Süden und Westen der Insel und dem touristischen Bergland wirtschaftlich hinterher. Die Straßen sind schlecht, nach Regen teilweise nicht passierbar. Privatwagen sieht man anders als in Colombo nur selten. Die meisten Menschen fahren Rad oder Moped, daneben knattern Rikschas, Laster und Busse. Die besten Wagen fahren meist die ausländischen Helfer.

Nur allzu leicht kann gut gemeinte, aber unbedachte Hilfe hier neue Konflikte entfachen. Das weiß auch Ganesh. Der 50-jährige heißt eigentlich Ramasami Canagaratram, aber alle nennen ihn Ganesh - wie den Glücksgott der Hindus. Der Tamile hat sich zum Anliegen gemacht, muslimischen Gemeinden zu helfen - und mit den Tamilen auszusöhnen. Dazu will er auch die tamilischen Nachbardörfer einbeziehen, um auf beiden Seiten Verständnis zu wecken und Spannungen abzubauen.

Ganesh will die Opfer der Flut nicht zu Almosenempfängern heranziehen, sondern in den Wiederaufbau einbinden. In Ollikulam hält er bereits Workshops mit den Bewohnern ab. Dabei geht es nicht nur darum, was die Menschen am dringendsten brauchen, sondern auch, was sie selbst beitragen können. Ähnliches schwebt ihm für Manmunai vor. Trotz der Spaltung von Seed will er an dem Projekt festhalten: "Sobald der Vertrag mit medico unterschrieben und das Geld da ist, können wir morgen anfangen. Dann stehen die Übergangshäuser in einem Monat."

http://www.frankfurter-rundschau.de/fr_home/flutkatastrophe_in_suedasien/?cnt=692547&
 
"Menschen, nicht Steine zählen"

Medico-Sprecherin Katja Maurer über Fehler beim Helfen



Frankfurter Rundschau: Frau Maurer, in Manmunai hat unsere Korrespondentin verzweifelte Menschen angetroffen. Dauert es zu lange, bis die Hilfe dort ankommt?







Wiederaufbau in Sri Lanka (ap)


Katja Maurer: Von hieraus gesehen: ja. Gleichzeitig muss man sehen, dass die Menschen in dieser trostlosen Situation schon vor dem Tsunami gelebt haben. Sie sind vertrieben worden. Einmal wegen des Bürgerkriegs, dann durch einen Zyklon. Jetzt sind sie zurückgekehrt an den Platz, an dem sie ursprünglich gelebt hatten. Ohne die Krise bei unserem Partner SEED würden die Menschen in Manmunai bereits in besseren Verhältnissen leben. Aber es gibt unvorhersehbare Dinge, die in solchen Katastrophen-Situationen passieren können. Wir haben natürlich einen Schrecken gekriegt, als wir sahen, die Menschen dort leben nach wie vor im Elend. Das macht uns Spender abspenstig. Gleichzeitig geht es darum, so etwas öffentlich zu machen, damit die Leute es verstehen können. Die SEED-Kollegen sind selbst traumatisiert, haben am Anfang Hunderte Leichen geborgen. Da können Probleme in einer Organisation auftreten, soziales Handeln ist nur in Maßen planbar.

Ist in so einer so schwierigen Lage das medico-Konzept noch sinnvoll, keine eigenen Mitarbeiter vor Ort zu haben?

Wir bleiben bei dem Grundsatz, dass Leute vor Ort die Projekte leiten, gerade bei diesen langfristigen Vorhaben. Wenn wir halb Sri Lanka wieder aufbauen würden, wäre es natürlich richtig, vor Ort zu sein. Wir haben aber einige Projekte kleinerer Größenordnung und da wäre es ein Missbrauch des Spendengelds, wenn wir da jemanden hinsetzen würden. Außerdem sprechen wir weder die Sprache, haben nicht den gesamten kulturellen Hintergrund. Wir haben jetzt aber eine Mitarbeiterin gefunden, die zwar Kanadierin ist, aber seit Jahren schon auf der Insel lebt, dort lokale NGO berät und das jetzt auch für unsere Partner tut.

Gibt es inzwischen Fortschritte in Manmunai?







Sri Lanka (FR-Infografik)


Ja, wir haben 40 000 Euro überwiesen, der Vertrag ist unterzeichnet. In der Zwischenzeit sind bereits erste Hütten gebaut worden und zwar auf Kredit. Der Kollege von SEED, Ganesh, hat das in die Hand genommen und bei moslemischen Geschäftsleuten Kredite aufgenommen, Übergangskredite, bis alles unter Dach und Fach ist. So stehen jetzt schon mal vier Hütten für die Führungsfamilien, und es ist ganz klar: Wenn das Geld da ist, werden die 48 Familien in Windeseile dahin kommen. Sie werden das Dorf mitaufbauen.

War die Spendenflut eine reine Alibihandlung, um das Gewissen zu erleichtern, oder eine neue Form der Solidarität?

Gespendet wurde aus einem Ohnmachtsgefühl heraus, aus einer großen Betroffenheit. Unsere Hoffnung, dass es ein Interesse gibt, so einen Wiederaufbau langfristig zu begleiten, hat sich nicht erfüllt. Vielleicht haben wir uns da auch Illusionen gemacht. Das Interesse wach zu halten, ist relativ schwer. Hinzukommt, dass bei vielen Projekten von außen bestimmt wird, wie es zu laufen hat. Ich habe eine Diskussion erlebt, wo mir die Leute gesagt haben, unser Projekt unterscheidet sich von anderen, bei uns ziehen die Leute freiwillig ein. Das heißt umgekehrt, dass sie woanders unfreiwillig einziehen. Ja, das heißt es, in Sri Lanka. Das kann aber nicht sein. Die Würde der Menschen dort muss im Mittelpunkt stehen. Nicht der schnelle, sichtbare Abfluss der Spenden.

Müssten diese "schwarzen Schafe" in der so genannten Helfer-Szene nicht deutlich genannt werden?

Das größte Problem sind nicht die NGOs, sondern die Spenden, die durch Unternehmen und andere Leute gesammelt wurden. Da geht es um Millionen. Damit werden Projekte begonnen, bei denen all die Sachen falsch gemacht werden, die uns in der mehr als 30-jährigen Arbeit auch passiert sind. Angefangen bei abgelaufenen Medikamenten, Altkleider-Sammlungen bis hin zur engen Kooperation mit der Regierung. Wenn wir dann sagen, bitte Leute, bezieht doch die betroffenen Menschen mit ein, dann heißt es, dafür haben wir keine Zeit mehr.

Haben etwa die kommunalen Projektpartnerschaften den Druck auf Organisationen wie medico erhöht?




Interview

Katja Maurer ist Pressesprecherin der Hilfsorganisation medico international. Medico engagiert sich u.a. in den Tsunami-Gebieten von Indien und Sri Lanka, arbeitet mit lokalen Organisationen wie SEED (Economical and Environmental Developers) zusammen. Dabei läuft nicht immer alles glatt: SEED drohte wegen interner Differenzen die Spaltung, ein Projekt verzögerte sich.




Bei seiner Initiative hat Bundeskanzler Schröder von der "Hilfe eins zu eins" gesprochen. So, als könnte alles ohne Verwaltungskosten umgesetzt werden. Das ist aber nicht realistisch und schürt falsche Erwartungen. Wir haben langjährige Mitarbeiter, die mit ihrer Erfahrung verhindern, dass sich bestimmte Fehler wiederholen. Das schlägt natürlich mit Personalkosten zu Buche. Aber das mag niemand haben. Viele sagen, wir wollen Häuser bauen, die kann man dann fotografieren. Ob die Menschen dort eine Perspektive haben und auch in drei Jahren noch dort leben, danach fragt keiner. Dabei zählt doch die Zufriedenheit der Menschen in den Katastrophengebieten, nicht der in Stein gemeißelte Erfolg. Aber Zufriedenheit lässt sich natürlich nicht so leicht messen.

Zur Spendenkontrolle gibt es das Spendensiegel. Fallen die Städtepartnerschaften auch darunter?

Nein. Da wurden schnell Vereine gegründet, damit sie Spendenquittungen ausstellen können. Und ansonsten sagen sie, es gibt keine Verwaltungskosten, das stimmt dann häufig nicht, weil die Verwaltungskosten über staatliche Instanzen - technisches Hilfswerk, GTZ - abgewickelt werden. Zum Teil ist es blinder Aktionismus, sieht aber auf den ersten Blick gut aus. Die Folgen werden wir wohl erst sehen, wenn alles niemand mehr so richtig interessiert.


http://www.frankfurter-rundschau.de/fr_home/flutkatastrophe_in_suedasien/?cnt=703644
 
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