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In den Plantagen nahe der Stadt Nuwara Eliya, 1800 Meter über Meer im Hochland von Sri Lanka, sind die Teepflückerinnen von weitem erkennbar. Ihre farbigen Saris leuchten im satten Grün des Pflanzenteppichs wie exotische Blumen. Leicht gebückt, einen Bastkorb oder Baumwollsack auf dem Rücken, zupfen sie mit flinken Händen jeweils die obersten, hellgrünen Blätter und die Knospen von den Sträuchern. Viel Arbeit für wenig Lohn. Rund drei bis vier Franken verdient eine Pflückerin pro Tag. Bezahlt wird nach dem Gewicht der geernteten Blätter. Zwei flinke Hände schaffen täglich 25 Kilo.

Das Gesicht der Pflückerinnen hellt sich jedes Mal auf, wenn ein Bus anhält, aus dem ein paar bleichhäutige, mit Kameras bewehrte Touristen herausspringen. Das Posieren bringt den Frauen ein paar zusätzliche Rupien ein. Was Matterhorn und Fondue für Touristen in der Schweiz, sind Teepflückerinnen und Ceylon-Tea für Sri-Lanka-Reisende ein Muss.

Auf der Bilderjagd schrammen sich die gehetzten Rundreisetouristen an den knorrigen Teegewächsen schon mal die Waden blutig. Mit einem freundlichen «Hello» grüssen die Arbeiterinnen die schwitzenden Fotografen. Noch ein «Money», dann ist ihr Englisch-Vokabular meist erschöpft, was zu seltsamen Gebärdendialogen führt.

Tee ist nicht nur Fotosujet und Mitbringsel, sondern nach Textilien auch der zweitwichtigste Wirtschaftsfaktor des Landes. Sri Lanka produziert jährlich rund 300 000 Tonnen und verkauft mehr als 90 Prozent ins Ausland und ist damit Export-Weltmeister. Der Tourismus rangiert auf dem vierten Platz. Nach der Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember 2004, bei der allein auf Sri Lanka 31 000 Menschen starben, brach der Fremdenverkehr ein. Verwüstet wurden vor allem die Küstenstreifen im Süden und Osten der Insel. So desaströs die Schäden auch waren die Hotellerie kam einigermassen glimpflich davon. Von den 248 Hotels seien lediglich 48 von der Flutkatastrophe betroffen gewesen, sagt Channa Jayasinghe, Direktor des Fremdenverkehrsbüros von Sri Lanka.

Der Tourismus hängt nicht allein von den Stränden ab

31 Hotels sind inzwischen renoviert, sieben müssen neu gebaut werden. Viele Hoteliers nutzten die Gelegenheit, um ihre Anlage zu verbessern, die Zimmer zu verschönern, den Swimmingpool zu vergrössern. Auch Strassen und Bahngeleise wurden in Stand gestellt. Jayasinghe glaubt, dass heuer trotz Katastrophe mehr Gäste nachkommen als die 566 000 Besucher im Rekordjahr 2004.

Bereits vor dem Tsunami wurde damit begonnen, Sri Lanka in einem höheren Qualitätssegment zu positionieren. Kürzlich eröffnete Aman Resorts in Tangalla das exklusive Boutique-Hotel Amanwella mit Bungalow-Preisen um 900 US-Dollar pro Nacht eines der teuersten Hotels der Insel. Und in Galle, wo die Tsunami-Welle einen Grossteil der Küste niederwalzte, schuf die gleiche Gruppe das edle Hotel Amangalle.

Sri Lanka hat Glück im Unglück: Sein Tourismus hängt nicht vollständig von den Stränden ab. Rund 60 Prozent der Einnahmen werden im reizvollen, tropischen Hinterland erwirtschaftet. Exotische Tiere und Pflanzen, Klöster, Tempel und sieben Stätten, die von der Unesco als Weltkulturerbe anerkannt sind, locken die Feriengäste ins Inselinnere.

Die Tempelanlage Sigiriya mit seinem 200 Meter in den Himmel ragenden Felsen ist eine der Hauptattraktionen und Weltkulturerbe. Berühmt sind die Wolkenmädchen Fresken mit barbusigen Schönheiten , die sich in einer Felsnische auf halbem Weg zum Gipfel befinden. Die Bedeutung der in zarten gelb-braunen Tönen gehaltenen Nymphen ist ungeklärt. Sicher ist, dass der Weg zu ihnen ebenso spektakulär wie schweisstreibend ist.

Riesen aus Stein und Riesen aus Fleisch und Blut

Die eisernen Stufenleitern und Wendeltreppen, die an den fast senkrecht abfallenden Felswänden kleben, sind nur schwindelfreien und nüchternen Personen zu empfehlen. «Do not enter having Liquor», warnt eine Tafel am Eingang. Nach 800 Stufen und Tritten erreicht man das Gipfel-plateau. Einige Ausflügler schleppen sich schweissgebadet und hochrot im Gesicht die letzten Stufen hoch als hätten sie eine Stunde Kutisweda genossen, eine Art sri-lankische Dampfsauna.

Der Aufstieg zum Felsenplateau des Monolithen lohnt sich auf jeden Fall. Die Mühsal wird mit einer grandiosen Rundsicht über Dschungel, Reisfelder, Stauseen und die geometrisch angelegten Gärten des Tempels entschädigt.

Weniger als zwei Autostunden vom Riesen aus Stein entfernt sind Riesen aus Fleisch und Blut zu bewundern. An der Rambukkana Road bei Kegalle liegt das Elefantenwaisenhaus Pinnawela ein Touristenmagnet par excellence. Die 1974 gegründete Institution für mutterlose Baby-Elefanten umfasst heute ein 97 000 Quadratmeter grosses Freigelände für 75 Elefanten aller Altersklassen.

Zweimal täglich werden die bis zu 3,5 Meter hohen Ceylon-Elefanten im nahen Fluss Maha Oya gebadet. Dazu legen sich die tonnenschweren Dickhäuter nahe dem Ufer ins seichte Wasser und lassen sich von den Wärtern genüsslich die Haut schrubben und den Kopf abspritzen. Danach stehen, trinken, spielen, liegen oder stochern sie mit ihren Rüsseln im Wasser herum und geben vor dem Palmenwäldchen auf der anderen Flussseite ein traumhaftes Fotomotiv für die Besucher ab.

Die Elefanten von Pinnawela nehmen die Blitzlichter lässig hin. Neugierige Touristen, die in ihren Rüsselradius treten, werden zärtlich befühlt und beschnuppert. Die Herzen der Besucher endgültig zum Schmelzen bringen die Baby-Elefanten, die mit der Milchflasche gefüttert werden. Manchmal darf ein Besucher den überdimensionalen Schoppen halten. Eine Engländerin gerät fast aus dem Häuschen: «He let me feed», ruft sie aufgeregt, als sie den grauen Strubbelkopf saugen lassen darf, «take the camera, darling!»

In einem Kräutergarten nahe der Stadt Kandy im Zentrum der Insel findet man an Baum oder Strauch hängend alles, was unsere Supermärkte gemahlen oder getrocknet in Gläschen anbieten: Pfefferkörner, Chilli- und Vanilleschoten, Muskatnuss, Sandelholz und Curry-Blätter.

Trotz normalem Alltag sind die Narben noch nicht verheilt

Riechen und Schmecken ist erlaubt und ein sinnliches Erlebnis. Die kleinen, frisch gepflückten Chillis sind jedoch mit höchster Vorsicht zu geniessen: Mit der Zunge die aufgebrochene Schote zu berühren, fühlt sich an, als ob mit Säure ein Loch hineingebrannt würde.

Ein grosses, dauerhaftes Brandmal hat der Tsunami im nationalen Gedächtnis Sri Lankas hinterlassen. Auch wenn im Alltag längst wieder courant normal herrscht, Einheimische den Fremden mit einem Lächeln begegnen die Narben der Katastrophe sind noch nicht verheilt. Je weiter man südwärts fährt, desto stärker sind die Schäden sichtbar: Häuserruinen, UNHCR-Zelte, Notversorgung mit Wasserboilern und an den Strand gespülte Schiffswracks. An der Südspitze der Insel, nahe der Stadt Hikkaduwa, wo mehr als 1000 Menschen in einem Zug umkamen, hat sich eine Art Katastrophentourismus gebildet. Vier der demolierten Wagen stehen als Mahnmal neben den neu errichteten Geleisen.

Doch im Elend blüht auch wieder Hoffnung. Frisch gepflanzte Kokospalmen stehen neben neuen Häusern. An exponierten Stellen errichten Arbeiter mit schwerem Gerät Steindämme. Vor einer anderen Baustelle kündigt eine Tafel mit der Aufschrift «Opening January 2006» eine Hotel-Wiedereröffnung an.

Die ganze Insel befindet sich in Aufbruchstimmung. Fragt man Einheimische nach der Zukunft ihres Landes, wird man an einen Astrologen verwiesen. Ohne deren Rat wird in Sri Lanka kein Haus gebaut, kein Vertrag abgeschlossen oder geheiratet mit Erfolg. Von siebenhundert Paaren lässt sich nur eines scheiden. Sri Lankas Zukunft liegt in den Sternen.


http://www.sonntagszeitung.ch/dyn/news/reisen/570965.html
 
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