Die Kasten in Sri Lanka

Biggi

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Ich hab schon vieles darüber gelesen und soeben noch etwas gefunden, das die Kasten gut darstellt.


Kasten in Sri Lanka

Zu den wichtigen Merkmalen ethnischer Differenzierung auf Sri Lanka gehört die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste. Die Existenz von Kasten teilt die Gesellschaft hierbei in verschiedene Richtungen. Christen und Muslime unterscheiden sich von den übrigen Bevölkerungsgruppen zunächst durch die Abwesenheit eines Kastensystems.

Während sich hier der kulturelle Unterschied zu den übrigen Bevölkerungsgruppen durch die Abwesenheit eines Systems ausdrückt, unterscheiden sich jene Gruppen, die ein solches System besitzen, nach außen durch eigenständige, voneinander abgegrenzte Systeme. Innerhalb dieser Gruppen jedoch bestimmen sie zueinander eine hierarchisch strukturierte soziale Ausgliederung, die nicht nur die soziale, sondern auch die berufliche Zuweisung vornimmt.

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Kasten werden durch viele Formen der Sprache und der Etikette im täglichen Leben, besonders in den ländlichen Gebieten, deutlich. Jede Kaste benutzt gruppentypische persönliche Namen und viele Kasten bedienen sich einer leicht unterschiedlichen Sprache, so dass für den Eingeweihten bei Beginn eines Gespräches bereits die Kastenzugehörigkeit deutlich wird. Personen von niedrigerem Rang werden dem höheren Rang ihren Respekt durch ausgesuchte Höflichkeit und Lüften der Kopfbedeckung erweisen. Eine Standardeinrichtung in Häusern der städtischen Oberklasse ist das Vorhandensein von niedrigen Hockern (kolamba), der Angehörigen niederer Kasten bei Besuchen als Sitzplatz angewiesen wird. Dörfer sind in Straßen und Viertel eingeteilt, die von jeweils einer Kaste bewohnt werden, wobei es möglich ist, dass die niedrigsten Kasten außerhalb des Dorfes in abgeschlossenen Gemeinschaften leben. In früheren Zeiten war es den Angehörigen niedriger Kasten beiderlei Geschlechtes, verboten den Oberkörper zu bedecken, in Autos zu fahren oder große Häuser zu bauen. Diese aggressiven Formen der Diskriminierung wurden nach Protesten und Agitation der Betroffenen mit dem 20. Jahrhundert abgeschafft.

An der Spitze sowohl des singhalesischen als auch de tamilischen Systems stehen jeweils die Bauernkasten (Goyigama und Vellala), die die jeweiligen Bevölkerungsmehrheiten repräsentieren und traditionell Anspruch auf die politische Führung erheben. Sie stellen jeweils bedeutende Teile der Eliten. Die dominante Stellung der Bauernkasten unterscheidet die Systeme auf Sri Lanka deutlich von der indischen Form, aus deren Vorläufer sie sich einst entwickelten.

Dort war den brahmanischen Kasten diese Position vorbehalten. Auch ist das System auf Sri Lanka nicht so weit ausdifferenziert wie auf dem Festland. Von Bedeutung ist es trotzdem. Dies bestätigt ein Blick auf Heiratsanzeigen. Von übergeordneter Bedeutung sind dort stets ein günstiges Horoskop und vor allem die richtige Kaste. Auch in der Politik spiegelt sich die soziale Organisation nach Kasten wieder.

Um Premierminister oder Präsident zu werden, sollte der Kandidat schon ein Hochland-Goyigama sein. Einzig der ehemalige Präsident Premadasa, ein Hinaya, macht hier eine Ausnahme. Um hingegen Parlamentskandidat für Negombo zu werden ist es wichtig christlicher Karava zu sein.

Bei aller Unterschiedlichkeit gilt auch für das offenere singhalesische Konzept der Kaste die soziale Abgegrenztheit. Die Kaste stellt in gewisser Weise den sozialen Nahraum, in dem sich ihre Angehörigen bewegen. Hier verlaufen die selbstbestimmbaren Kontakte und solidarische Netze. In einer bestimmten Kaste zu sein bedeutet deshalb vielfach auch die Zugehörigkeit zu einer politischen Organisation oder einem bestimmten religiösen Orden. Beispielsweise rekrutiert sich der älteste buddhistische Mönchsorden der Insel, der Siyam-Nikaya, ausschließlich aus Goyigama.

Der Wandel während der Kolonialzeit hat insbesondere die Fischer- und Händlerkasten begünstigt. Als Küstenbewohner frühzeitig kolonialisierte Bevölkerungsgruppen wie die Fischer hatten sich vor den, noch privilegierten, Bauernkasten neue Tätigkeitsfelder eröffnet. Dies begünstigte eine wirtschaftliche Potenz ihrer Eliten, die sie in Konkurrenz zum traditionellen Führungsanspruch der Bauernkasten brachte. Dies hat auch zu einem Wandel im zugemessenen sozialen Status geführt. Karava stehen im singhalesischen System heute nur noch knapp unter den Goyigama und bei den ceylon bzw. sri lanka tamils nähern sich die Karaiya den Vellala an.

Mittels des Kastensystems unterscheiden sich übrigens auch die indian tamils von den ceylon tamils. Als ‘Kontraktarbeiter’ von den Briten verpflichtet, gehörten ihre Vorfahren meist ‘niederen’ Kasten aus Südindien an. Zu den Kasten, denen ein geringer sozialer Status beigemessen wird, gehören dabei regelmäßig die Landarbeiterkasten.

Dies verweist in eine materielle Dimension der Kaste. Die historischen Kasten Sri Lankas standen in einem engem Kontext mit der notwendigen Produktion und der Verfügung über das Land. Die alten, auf den Nassreisanbau gegründeten Königreiche bestimmten die Vorherrschaft der Bauern und, wenngleich von anderer Bedeutung, der Krieger. Da sich die Staatsbildung jedoch unter der Dominanz des Buddhismus vollzog ging die religiöse Führerschaft nicht in die Hände einer den Brahmanen vergleichbaren Gruppe über, sondern rekrutierte sich de facto aus den aktuell staatstragenden.

Das Ende der historischen Funktion dieser Kasten und die Entstehung neuer Königreiche wie Kotte und Kandy, die auf einer veränderten wirtschaftlichen Existenz gründeten, wurde rasch mit dem Erscheinen des europäischen Kolonialismus konfrontiert. Während das Tieflandreich Kotte rasch kolonialisiert wurde, konservierten sich Teile des historischen Systems im Hochland von Kandy.

Ein Erbe, das Sri Lanka mit in die Unabhängigkeit nahm. Zwar verbietet die Verfassung die gesellschaftlich Bevorzugung oder Benachteiligung aufgrund von Kastenzugehörigkeit, ihre soziale Macht besteht aber fort.

Das Kastensystem wirkt jedoch nicht nur ab- und ausgrenzend, sondern ist, wie der indische Soziologe Nirmal Kumar Bose einmal anhand indischer Stammesbevölkerungen nachwies, die Methode, mit der die Gesellschaft neue Bevölkerungsgruppen und Stände absorbiert. Sie erhalten den Status einer Kaste zugewiesen, müssen sich aber den Bedingungen des Kastensystems unterwerfen. Hierin besteht auch ein Stück sozialer Sicherheit, nicht zuletzt auch durch die privilegierte Zuweisung bestimmter Tätigkeiten.

Dass ein solcher Prozess auch auf Sri Lanka stattgefunden hat, wurde in der Fachwelt nicht zuletzt am Beispiel der Fischerkasten diskutiert, von denen angenommen wird, dass sie erst später in die jeweiligen Gesellschaften integriert wurden.

Außerhalb des häuslichen Lebens geschehen die meisten sozialen Interaktionen heute ohne Rücksicht auf Kasten. In den Dörfern, Büros und Fabriken arbeiten die Angehörigen der unterschiedlichen Kasten zusammen und kommunizieren ohne Tabus. Die moderne urbane Gesellschaft macht die Rücksicht auf die Feinheiten im Umgang der Kasten untereinander unmöglich. Menschen aller Kasten drängen sich in Bussen ohne Angst vor körperlicher Berührung. Beschäftigung, Gesundheit und Ausbildung sind offiziell allen zugänglich, ohne Ansehen der Kastenzugehörigkeit. In den städtischen Slums hat das Zusammenbrechen der sozialen Organisation zu weitest gehendem Wegfall von Schranken und zu mannigfaltigen Beziehungen zwischen den Kasten geführt. Trotz dieses Rückzugs der Kasten im öffentlichen Leben sind ihre Relikte noch in allen modernen Institutionen vorhanden, inklusive der politischen Parteien, und wenn es um Heiraten geht, dem 'wahren Test der Erfüllung ritueller Reinheit', dann findet die überwältigende Mehrheit der Verbindungen immer noch zwischen den Angehörigen der gleichen Kaste statt.

Nimmt man in Sri Lanka eine Wochenendzeitung in die Hand und liest die Kontaktanzeigen, fallen sofort zwei Dinge ins Auge: Horoskop und Kaste.

Astrologen sind in Sri Lanka in Sachen Eheschließung vielbeschäftigte Leute. So richtig passt zueinander, wer nicht nur einer Kaste angehört und dadurch materiell vergleichbar gestellt ist, sondern wer zudem unter einem guten gemeinsamen Stern steht. Geburtsdatum und die möglichst exakte Geburtsstunde werden zum Quell ausgefeiltester Deutungen, die nach alter indischer Kunst vonstatten gehen. Es ist bis heute für den westlichen Beobachter erstaunlich, in welchem Maß das Horoskop für berufliche und private Entscheidungen herangezogen wird. Sollten Sie in den Annoncen über die Buchstaben 'G.B.S.' stolpern, wird nicht etwa nach einer literarischen Vorliebe für George Bernard Shaw gefragt, sondern ein Govigama Buddhist Singhalese sucht nach einem Partner für Tochter oder Schwester.
 
Hallo Biggi

Mit dem Thema Kasten hast Du ein spannendes und interessantes Thema dargestellt. Mir selber ist das Thema Kasten bis auf eine Ausnahme nie ein Problem gewesen.

Oft habe ich mit Singhalesen und auch mit Tamilen zusammen gearbeitet. Kaste? Dies war mir im Prinzip ein Fremdwort. Und wenn ich meine ehemaligen Kollegen so in der Rückblende betrachte, sehe ich auch heute nichts Bemerkenswertes.

Bis auf eine kleine Ausnahme. Für Erdarbeiten war eine kleine Gruppe Männer zuständig. Als diese Arbeiten beendet waren wurden sie gebeten Rohrarbeiten zu erledigen. Sie haben sich geweigert. Die Rohrverlegung war eine erheblich leichtere und bequemere Arbeit, als Erdmassen mit einfachen Werkzeugen zu bewegen. Dann wurden wir über Kasten aufgeklärt.

Mich wunderte es, dass es auch ein Kastendenken von unten nach oben gibt. Aber es war wirklich die einzige Ausnahme während meiner gesamten Sri-Lanka-Zeit.

Aber leider habe ich ein neues anderes Kastendenken in Sri Lanka erlebt. Religiöse. Hindus, Moslems, Buddhisten und Christen. Mein Eindruck ist, dass dieses neue Kastendenken sehr viel gefährlicher ist und auch sehr ernst genommen werden muss. Und leider ist ein Teil dieses Kastendenkens von den westlichen Staaten bis zum heutigen Tag gefördert worden. Damit meine ich Heute und nicht die Zeit der Kolonialisten.
 
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