Morden und Brandschatzen unter humanitärem Deckmantel

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Sri Lanka
Morden und Brandschatzen unter humanitärem Deckmantel
Die Kriegsparteien auf haben ihre Kämpfe wieder aufgenommen - Aussöhnung rückt in weite Ferne.

Von Sophie Mühlmann

Singapur - Ein neuer Ausbruch des Bürgerkriegs wird in Sri Lanka immer wahrscheinlicher. Zum ersten Mal seit vier Jahren rückt die Armee im Nordosten der Insel wieder in einer gezielten Militäroffensive vor. Dies sei ein Bruch des Waffenstillstandsvertrags, wettern die Rebellen und schlagen erbittert zurück. Und die europäischen Vertreter der Internationalen Beobachtermission haben das Land verlassen wie ein sinkendes Schiff. Über 800 Menschen sind in diesem Jahr im Norden der südasiatischen Insel bereits ums Leben gekommen. Hinterhalte, Luftangriffe und Anschläge sind wieder an der Tagesordnung, so als hätte es nie Friedensverhandlungen gegeben. Die zaghafte Hoffnung auf Aussöhnung hat sich längst im Rauch des Gewehrfeuers aufgelöst.

Seit Beginn der Bodenoffensive am Montag werden die Kämpfe mit jedem Tag heftiger. Regierungssoldaten und die Einheiten der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) leisteten sich erneut heftige Gefechte um die Stadt Muttur im Distrikt Trincomalee. Die Rebellen waren am Mittwoch in der überwiegend muslimischen Stadt eingefallen und haben dort Häuser besetzt. Die Armee versucht mit aller Feuerkraft, den Ort zurückzuerobern. Zwischen den Fronten hat sich die verängstigte Bevölkerung in Moscheen und Schulen geflüchtet. Hilfe für die Verletzten kommt wegen der andauernden Schusswechsel nicht in die Stadt hinein. Beide Seiten rühmen sich, dem Gegner großen Schaden zugefügt zu haben, doch offizielle Opferzahlen gibt es nicht.

Selbstverteidigung nennen sowohl die Armee als auch die Tamil-Tiger ihre Aktionen. Und wieder behaupten beide, sich noch immer im Rahmen des Waffenstillstandsvertrags von 2002 zu bewegen.

Die letzte Runde der Gewalt war durch eine Unterbrechung der Trinkwasserzufuhr durch die Rebellen in dem von ihnen kontrollierten Gebiet ausgelöst worden. Die LTTE hatte Schleusentore blockiert. Zehntausende, so die Regierung, sind nun vom Trinkwasser abgeschnitten. Die Armee versucht seit zehn Tagen, die Kontrolle zurückzuerlangen und bombardierte die Stellungen der LTTE zuerst aus der Luft, bevor sie mit 3000 Mann einmarschierte - angeblich eine humanitäre Aktion. Die Befreiungstiger behaupten ihrerseits, sie agierten im Interesse der lokalen Bevölkerung, die Klärung in einem Wasserdisput mit der Regierung fordere. Zwei Versionen, zwei Rechtfertigungen für immer neue Kämpfe. Ein blutiger Teufelskreis. Wieder einmal wird die Zivilbevölkerung zum Opfer des jahrzehntealten Konflikts.

Seit den Siebzigerjahren kämpfen die Befreiungstiger um einen eigenen Staat im Norden und Osten Sri Lankas. Hier leben die meisten der 3,2 Millionen hinduistischen Tamilen. Der Kampf dieser Minderheit, die sich benachteiligt und diskriminiert fühlt, artete 1983 nach heftigen antitamilischen Aufständen zum Bürgerkrieg aus. Über 65 000 Menschen sind in den zwei Jahrzehnten bis zum Waffenstillstand vor vier Jahren gestorben. Und nun sieht es ganz nach einer Neuauflage des Kriegs aus.

Artikel erschienen am Fr, 4. August 2006 Die Welt
 
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