2 weitere Bücher über den tsunami und seine Folgen

Admin

Administrator
Registriert
23. Juli 2005
Beiträge
2.113
"In einer neuen Welt gelandet"

Krystian Woznicki 29.05.2005

Auf ihrer Suche nach Schubladen für den Tsunami vom 26.12.2004 stoßen Historiker auf die Grenzen unserer Ordnungssysteme
Im Kriegsspiel gehört das Szenario bereits zum Standardrepertoire: ein Inferno, das an verschiedenen, über den gesamten Erdball verstreuten Orten gleichzeitig losbricht. In der Wirklichkeit ist das dezentrale Simultanereignis vor allem im Zeitalter der Massenmedien etwas, auf das unsere Gesellschaft unvorbereitet ist. Wie sehr damit unsere Realitätsmodelle überfordert werden, zeigt sich an Versuchen, den Tsunami vom 26.12.2004 in die Historie zu überführen.




Es war zu erwarten, dass Verlage auf den Tsunami reagieren und Chronisten mit Protokollen der Katastrophe aufwarten würden. Nun liegen diverse Publikationen vor. "Tsunami – Geschichte eines Weltbebens", herausgegeben von Cordt Schnibben (DVA, 2005), ist zum Beispiel ein Band, der Reporter des Wochenmagazins "Der Spiegel" versammelt und damit Texte über Menschen, die von der Flut unmittelbar betroffen worden sind. Das gleiche Journalisten-Team, das auch bereits den 11. September für die Nachwelt aufgearbeitet hat, ist in die Krisengebiete gereist und hat dort mit mehreren Hundert Überlebenden gesprochen und ihre Erlebnisse sorgsam protokolliert.

Eine umfangreiche Rekonstruktion der Flutkatastrophe hat auch "Geo" unternommen. In seinem Magazin für Geschichte "Epoche" liefert es das "Protokoll einer Jahrhundert-Katastrophe" – anders als das Schnibben-Buch hauptsächlich mit Bildern, teils doppelseitigen Fotos, Satellitenaufnahmen, Grafiken, etc. Der Titel der Publikation lautet: "Tsunami – Der Tod aus dem Meer".

Dass jede Bestandsaufnahme der Flutkatastrophe gezwungenermaßen herkömmliche Einordnungsmethoden in Frage stellt, zeigt derweil "Das große Jahrbuch 2004" (Brockhaus-Verlag). Wie auch der Rest der Jahresereignisse, wird die Flut in dem von der "Die Zeit"-Redaktion erarbeiteten Band nicht chronologisch, sondern alphabetisch unter "T" wie Tsunami eingeordnet. Ein Ordnungsmodell, das sich in diesem Zusammenhang als besonders starr erweist – nicht zuletzt daran ablesbar, dass für diesen Eintrag eine Sonderbeilage produziert werden musste.




11.09. und 26.12.

Die Fragen nach Ordnungsmustern und die Frage nach Methoden, das Ereignis nachzuerzählen, drängen sich aus vielerlei Gründen auf – das Ausmaß der Katastrophe, die Not, die sie hinterließ, und die Zweifel, die sie über unsere Zukunft aufgeworfen hat. Besagte Fragen drängen sich aber auch angesichts der Struktur des Ereignisses auf.

Das Schnibben-Buch stellt die Flut mit dem 11.09. auf eine Stufe, im Vorwort schreibt der Herausgeber:


--------------------------------------------------------------------------------

Der moderne Terrorismus will so zerstören, wie es die Natur kann. Das Wirken des Tsunami bekommt deshalb im Gegenzug in den Augen mancher etwas Terroristisches, so als habe das Meer im Urlaubsparadies [...] mit der selben Bösartigkeit zugeschlagen wie Osama Bin Laden im World Trade Center.


Man müsste vermutlich einwenden, dass der Terrorakt nicht nur ein Ziel hatte, dass ebenso das Pentagon in Washington getroffen wurde und dass in dieser Hinsicht vermutlich die eigentliche Parallele zwischen den Ereignissen besteht: Wie auch der 11.09. war der Tsunami eine Katastrophe ohne wirkliches Zentrum. Ließ sich der terroristische Anschlag noch simplifizierend auf einen Ort reduzieren, so ist bei der Flut eine solche Reduzierung kaum mehr möglich, sie passierte an mehreren Orten gleichzeitig, die über die Weiten eines Ozeans verstreut sind.

Naheliegend sind Vergleiche zum Giftgasanschlag von Tokio, wo die Aum-Sekte mehrere Bahnlinien im Bahnnetz der japanischen Hauptstadt gleichzeitig attackierte. Haruki Murakami, Japans berühmtester Schriftsteller, hat die Erlebnisse der Traumatisierten protokolliert und die Geschichten nach Bahnlinien und ihren Verläufen geordnet, auf deutsch erschienen unter dem Titel "Untergrundkrieg" (DuMont, 2002).

Warum war es ein Weltbeben?

Bekanntlich hat die Flut-Katastrophe die Rede von der einen Welt nach sich gezogen (Die Welt im Plural denken). Das Beben ließ im Grunde den ganzen Planeten erschüttern, es gibt in der Menschheitsgeschichte wenige Parallelen zu einer Naturgewalt dieser Dimension. Die Chroniken des Ereignisses kommen folglich selten ohne ein Dossier der schlimmsten Naturkatastrophen der Geschichte aus. Schnibben erweitert diesen Diskurs, wenn er im Vorwort des Buches notiert:


--------------------------------------------------------------------------------

Menschen aus über 50 Ländern waren unter den Toten des Seebebens, und darum wurde es zum Weltbeben.


Schnibben stellt damit einen wichtigen Punkt heraus. Die Urlaubsorte waren zum Zeitpunkt der Flutkatastrophe zu Ballungszentren der Weltbevölkerung geworden. In den Weihnachtsferien waren zwischen den Seychellen und Phuket Menschen aus aller Herren Ländern anwesend, wie an Pilger- oder Versammlungsorten, an denen sprichwörtlich die ganze Welt zusammenkommt. Bekanntlich werden Orte nicht zuletzt auf Grund solcher Eigenschaften zu terroristischen Zielen.

Doch es gibt noch einen ganz anderen Grund, warum man hier von einem "Weltbeben" sprechen kann. Es ist der gleiche Grund, warum der Vergleich zum 11.09. sinnvoll erscheint. Die Dezentriertheit der Katastrophe hat ihr den Anschein des Ortlosen, Quasi-Globalen verliehen. Ortsnamen werden bei den Protokollen der Katastrophe vor jedem Eintrag angegeben, dann die Uhrzeit. Die Ortsnamen verlieren nach einer gewissen Zeit ihren Wiedererkennungswert. Es sind zu viele, als dass man sie sich merken könnte, vielleicht auch zu viele fremde, unbekannte Namen, die fast schon eine babylonische Verwirrung evozieren.

sicher interessant

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20077/1.html
 
Oben