Alles beginnt im Kopf

S

Samuel

Guest
Mein alter Freund Wolfgang, schon vor über 20 Jahren Textautor unseres gemeinsamen Bildbandes "Thailand - zwischen Tradition und Tourismus", schrieb seine tiefen Erfahrungen auf, die im Jahre 2007 in einem Straßengraben von Sri Lanka ihren Anfang nahmen..........

Hier sein Bericht, Teil 1:

Reisen - Alles beginnt im Kopf!

Da blickt man nun zurück auf ein zum großen Teil gelebtes Leben, hat sich beruflich etabliert, privat gut engagiert und die sogenannten Jahresurlaube immer zielorientiert auf neue Länder und Menschen ausgerichtet.
So komme ich auf immerhin ca. 50 Länder dieser Erde auf verschiedenen Kontinenten, aber der Rest der Welt ist - so ungeführ - immer noch über weit mehr als100 Staaten groß.
Zugegeben: Die Welt ist kleiner geworden, was die Erreichbarkeit und Bereisbarkeit betrifft; in vielen Regionen herrscht Krieg oder kriegsähnliche Zustände; in viele islamische Länder zieht es mich derzeit gar nicht, obwohl ich gute Erinnerungen an den Nahen Osten und Nordafrika habe.
Und doch sind diese Erinnerungen an all die Reisen immer geprägt von ihrer zeitlichen Begrenztheit: Längstens 5 Wochen USA und Kanada 1980, meistens 3 - 4 Wochen in den letzten zwanzig Jahren, überwiegend Südostasien um den deutschen Wintern ein Stück aus den Rippen zu schneiden.
Und am Ende dieser vielfach schönen Tage steht man wieder in einem Airport irgendwo und liest auf den Anzeigetafeln neben Frankfurt die vielen anderen Ziele in die Welt, aber die Arbeitskollegen zu Hause erwarten mich doch - und das zurecht!
Und das Leben geht weiter, wird natürlich auch im Alltag zu Hause gerne gelebt und dennoch nagt die Sehnsucht nach einer Zeit, die, weniger begrenzt das Reisen erlaubt und erlaubt zu verlangsamen, zu verharren und loszulassen.
Also habe ich mit meinem öffentlichen Arbeitgeber ein sogenanntes “Sabbath-Jahr” vereinbart, konkret: Vier Jahre Vollzeit arbeiten für 80 % der Bezüge, 1 Jahr frei für 80 % der Bezüge. Klingt gut, ist gut, aber gar nicht soo einfach, weil man mit weniger Geld auskommen muss und auch fast nix gespart kriegt, will man nicht in Sack und Asche gehen.
Jetzt ist bald so weit und die “Arbeit” geht jetzt erst richtig los:
Wohin und wie lange jeweils vor Ort? Welche Ziele kann man sich mit durchschnittlich 50 Euro am Tag leisten? Route, Klima, Sicherheit? Ernährung, Unterkunft, Transport? Sprachen, Kultur, touristische “Highlights”? Versicherungen, Geldtransfer und “Notfallpläne”?
Und zu Hause? Wohnung, Fahrzeug, Mitgliedsbeiträge, Abo`s und all die anderen Kosten, die am Bein hängen…?
Von Anfang an klar ist: 1 Jahr ohne Winter! Also bietet sich an, auf der Westroute den Globus zu umrunden, immer der Wärme nach! Mein kompetenter Beraterfreund Samuel Degen von macht Vorschläge: Round-the-world-Ticket im Airlineverbund von Frankfurt nach Los Angeles, weiter über Hawai zu den Südseeinseln und dann rüber nach Neuseeland. Australien, klar und am Ende weiter über Singapur in mein geliebtes Südostasien: Thailand, Burma, Laos…vielleicht über Bangladesh nach Indien rein?
Spätestens jetzt holt mich die Begrenztheit der Zeit wieder ein. Ich wollte doch verweilen, wollte vor Ort da und dort die Tage fließen lassen, wollte mich einlassen auf Situationen und Begegnungen die nicht leiden unter Eile und schnellem Abschied.
Mittel- und Südamerika muß sein, weil da war ich noch nie. Also: Mexico, Guatemala, Honduras, El Salvador…Kolumbien lieber nicht (wer will schon in der Tagesschau erscheinen und vom Auswärtigen Amt freigekauft werden? Aber vielleicht ist es vor Ort doch ganz anders?), Ecuador, Bolivien, Peru!
Ich lese mich über das Internet ein, hauptsächlich. Uff, das ist der beste Tipp aus meinem Selbstreisehandbuch Bd.I, denn die dort zu lesenden Blogs mach schnell klar, daß Verlangsamung nicht nur wollen, sondern auch müssen sein kann. Transportmittel (Chickenbus?!?) , Unterkünfte unterschiedlicher Niveaus (gebetene und ungebetene Gäste), Grenzüberschreitungsabenteuer (Welcher Stempel, welches Dokument fehlt?), Nepper, Schlepper, Überfall? Und natürlich alles in spanisch! Bin ich froh, daß ich mir derzeit eine dumpfe Ahnung von dieser Sprache in der Volkshochschule verschaffe…
Also, mit den neuen Erkenntnissen, ergänzt auch über globetrotter.org wieder zu Samuel und Rat geholt - die Reise wird gesund geschrumpft:
Von Los Angeles nach Mexico City, erst mal zwei Wochen intensiven Sprachkurs, dann weiter durch Mexico, nach Yucatan und ans Meer, weiter nach Guatemala und Belice vielleicht noch Honduras und El Salvador - Südamerika ist bei geplanten 4 Monaten eher auf der Streichliste. Zurück nach Mexico City und L.A., jetzt auf die südl. Halbkugel, nach New Zeeland (endlich wieder englisch!), 4 Wochen müssen reichen, es ist jetzt schon Februar, dann 2 Monate durch Australien und zuletzt für 4 Monate durch Asien, die Seele baumeln lassen…
Soweit, so gut. Aber was nimmt man alles mit? Wieviel kann ein Mensch (er-) tragen? Ich packe meinen Koffer lieber schon jetzt!

Plötzlich Eile in der Gegenwart

Das mit dem Koffer packen ist durchaus wörtlich zu verstehen: Bei aller Spannung und Freude auf den “großen” Trip ist der seit langem schon geplante, alljährliche Winterurlaub mit leisen Schritten herangeeilt. Nächste Woche, am 14. Feb. geht’s ab nach Südasien. 10 Tage nach dem tsunamigeschädigten Sri Lanka, das ich schon 1996 mit meinem Freund M.S. bereiste und 10 Tage nach Goa in Indien, das mir von Samuel Degen schon seit Jahren ins Ohr und ins Herz geträufelt wurde. Eine gute Gelegenheit, gleich mal auszuprobieren, mein blog, das mir sein Sohn Michael im Schweiße seines Angesichts “gebaut” hat, aus fernen Internetcafe’s zu befüttern.
Ganz gelassen habe ich also meinen Rucksack-Rollerkoffer von der Staubhülle befreit und schon mal ein paar Lieblingsklamotten bereitgelegt; leichte Baumwollsachen in maximaler Stückzahl von jeweils drei Einheiten (plus eine am Körper) - glücklicherweise gibt es in Asien an jeder Ecke eine Laundry wo man binnen Stunden sein Zeugs gewaschen und gebügelt bekommt. Übrigens: Bei Kleidung gibt es nichts unverzichtbares; in Asien bekommt man diesbezüglich alles zu mehr als moderaten Preisen. Okay, die wärmende Fleecejacke für kühle Augenblicke muß man evtl. länger suchen.
Aber was ist mit dem ganzen anderen Krempel? Fängt schon mit Büchern an, die machen gleich Gewicht. Ein Paar feste Schuhe machen Volumen, wenn man nix findet, was mein reinstopfen kann, Trekkingsandalen und Badeschläppchen nicht vergessen. Waschbeutel ausdünnen, für die Reiseapotheke 1 Fläschchen Underberg (für alle Fälle, darf nicht fehlen; der Tipp stammt von der weitgereisten Andrea Liere von 4U-Tours) die Medikamente von Schachteln befreien, aber Beipackzettel irgendwo unterbringen, falls ein Autorisierter mehr wissen will. Bedauerlich auch Fälle und Gewicht von Sonnenschutzmitteln und artverwandten Essenzen, die vor Ort vielleicht teurer oder gar nicht zu bekommen sind. Und dann die “Gimmiktüte”, die übers Jahr mit allerlei Nettigkeiten zum Verschenken gefüllt wird: Farbstifte und Malbücher für Kinder, kleines Spielzeug sowieso; bunte Kalender, Feuerzeuge, Kugelschreiber und Taschenmesser für die Erwachsenen. Nächste Woche noch einen “Bettelgang” durch die Karlsruher Parfümerien um Kosmetik- und Parfümpröbchen-Spenden zu ergattern; darauf stehen sie dort alle - das Personal in den Unterkünften, Taxifahrer, Fremdenführer und manchmal auch Amtspersonen.
Macht alles zusammen zwei Kilo im Umfang eines Schuhkartons.
Und wo bleibe ich? Taschenlampe(n), Ersatz-Taschenmesser, Ersatzbrillen, Discman und CD’s (in die Welt von MP3 und i-pod bin ich noch nicht vorgedrungen), klitzekleine Lautsprecher, weil ich Ohrstöpsel hasse - die braucht Raymonde tonlos weil mein Schnarchen gegen die Genfer Konvention verstößt.
Ein großes und ein kleines Badetuch, Sarong und Hängematte (die stammt aus kambodschanischen Armeebeständen, ist aus hauchdünnem Fallschirmgewebe und hält mich aus).
Fehlt noch was? Das fällt mir dann dort auf. Und ich werde es verschmerzen.

Sri Lanka - Die ersten Tage

Wie war das doch mit dem Gepaeck? Zuviel, zuviel, viel zuviel. Schock an der Waage beim einchecken nach Colombo: 22 Kilo! Sind es die Buecher? Sind es die vielen kleinen Dinge in der “Werkzeugbox”? Sind es die vielen Tuben und Flaeschchen mit allem Schmierie gegen dies und das? Ich weiss es nicht. Dies bedarf einer besonders scharfen Analyse nach der Heimkehr. Allein die Vorstellung, ich muesste den ganzen Krempel tragen, gar noch ueber mehrere 100 Meter weit, macht mich schaudern.
Das Taxi, das wir fuer guenstige 3000 RS ergattern packt jedenfalls uns und unser Gepaeck in gut eineinhalb Stunden nach Kalutara ins schicke Hibiskus Beach Hotel, wo wir noch vor den anderen “All Inclusive”-Gaesten am Fruehstuecksbuffet nagen - schliesslich ist es erst 7.30 Uhr.
Das Wasser im Pool ist klar und trinkbar und ein paar Meter weiter bollert das Meer an den leeren Strand. Es hat was, das all inclusive, du musst dich um nix mehr kuemmern, kannst poolen, pennen und dir zwischendurch nen coolen Drink bringen lassen, bevor am Mittag und am Abend ein ordentliches Buffet aufgefahren wird, dessen Vielfalt mit einer Mahlzeit nicht zu erfassen ist. Und ueberhaupt ist Aklimatisierung ein langsamer Prozess, schliesslich kommt man aus einem arbeitsreichen, wenn auch nicht zu kalten Europa ins sonnige Suedasien und hat sich das ja auch verdient, weil man sich sonst nix goennt…
Spannend war dann doch der erste Schritt vor die beschuetzende Einrichtung Sterne-Hotel: Ruckzuck haben wir einen freundlichen Einheimischen an der Backe, der uns (auf seine Kosten), mit oeffentlichen Bus nach Wadduwa lotst, wo wir erfolgreich uns mit Rupien versorgen und er fuer seine Kinder (auf unsere Kosten) Michpulver kauft und uns ein Tuktuk (die heissen hier Threeweehler) fuer 1000 RS zurueck zum Hotel organisiert - da wren wir aber froh dass dort wieder all inclusive war, sogar die als Mexikaner verkleideten Singhalesen die exclusiv fuer uns “Marmor, Stein und Eisen bricht” spielten.
Aber wie schnell sind drei Tage vorbei, man ist schon richtig eingelullt zwischen Liege und Leckereien, da gehts schon ab zum oertlichen Bahnhof und Schwupp in die Eisenbahn nach Colombo und sofort in politische Gespraeche mit einem jungen Kerl verwickelt der mehr ueber Bush und Merkel weiss als einem im Urlaub lieb sein kann.
Aber auch das geht vorbei und nahtlos werden wir im Hbf von Colombo von Rodney uebernommen, der uns gleich Plaetze im Zug nach Kandy erkaempft - kaum sitzen wir, ist der Zug ueberfuellt und wir sind froh.
Froh auch das Rodney uns von seinen Jungs am Bhf von Kandy abholen laesst und in sein Guesthouse bringen mit ordentlichen Zimmern und tollem Blick ueber Tal und Fluss und eben schnell die 4-Tage-Tour an uns vercheckt - all inclusive versteht sich - fuer satte 400 Euro.
Nachts koennen wir kaum schlafen, weil wir uns dermassen ueber den Tisch gezogen fuehlten - im nachhinein hat sich das aber wieder relativiert, weil wir doch ganz schoen viel geboten bekamen fuer unser Geld.
Mit Soma, unserem Fahrer und Begleiter fuer die naechsten Tage sofort klar gekommen und warm geworden. Er ist ein fahrerisches Ass, bedenkt man die Strassen- und Verkehrsverhaeltnisse, die an sich unbeschreiblich sind, so man sie nicht selbst erlebt hat.
Im Hindu-Tempel von Matale empfangen uns gleich Trommeln und Hoerner, weil just zu dieser Stunde eine Gottheit freigelegt wird. Anschliessend gibts im Kraeutergarten gewuerzten Tee und eine beachtliche Ruecken- und brustmassage, was den steilen Treppenaufstieg zu den Hoehlen-Tempeln von Dambulla gestaerkt bewaeltigen laesst.
Ein kleiner Snack mit gefuellten Teigtaschen gibt dann doch nicht Kraft genug den Felsen von Sigiriya zu erklimmen - es ist noch bruetende Mittagshitze - aber die Fahrt durch den Milneriya-Nationalpark erfreut uns mit wilden Elefanten, Fuchs und Stachelschwein.
Abends im Peacock-Solitude bei Pollonaruwa gedaempfte Geraeusche aus den uns umgebendem Dschungel bei einem ausgezeichneten Dinner-Menue auf Rodneys Kosten…
 
Teil 2

Nach Goa auf einem Bein

Da kommt man augenblicklich nicht dazu Sri Lanka fertigzuschreiben, weil sich die Ereignisse im wahrsten Sinne des Wortes ueberstuerzen:
Vergnuegt spazierte ich nach Abfassung des letzten Beitrags die naechtliche Strasse zurueck zur Unterkunft. Als mich ein entgegenkommendes Auto blendet machte ich sicherheitshalber einen Schritt zur Seite, aber da war nichts. Als ich mich in dem ca. 1,50 m tiefen Graben wieder aufrappeln will, verweigert der linke Fuss den Gehorsam und ich stuetze mich auf die Fahrbahn wie auf einen Tresen und bin verwirrt. Schon sind drei Maenner, die das alles wohl (im Dunkeln!) beobachtet haben, zur Stelle, ziehen mich aus dem Graben und schleppen mich zu einer Sitzbank, ein paar Meter weiter. Mit Blicken auf meinen linken Fuss stellen wir uebereinstimmend fest: Das sollte sich ein Arzt angucken!
Sogleich haelt auch ein Dreirad-Taxi und faehrt uns zunaechst zur Unterkunft um Raymonde zu ueberraschen. Die ist selbstverstaendlich nicht erfreut - als haette sie es geahnt…
Der Threeweehler faehrt uns stotternd nach Matara (der Motor macht wohl nicht mehr lange); wenn ich den Fuss locker haengen lasse, tut er fast nicht weh. Im General Hospital angekommen nehme ich Platz in einem aus italienischen Spenden stammenden Rollstuhl und werde in einen riesigen Krankensaal gerollt, wo eine zierliche Aerztin, umringt von Patienten, Papierberge bewaeltigt. Ihr landestypisches Kopfwackeln verraet mir, dass auch sie meinen Fuss durchaus kritisch einschaetzt und ich werde wieder eine Stockwerk tiefer zum Roentgen gerollt.
Das Doppelbildchen ist eindeutig: Doppelte Fraktur im Sprunggelenk(?), ich sollte die Nacht ueber besser hier bleiben, der Orthopaede kommt erst morgen.
Mein Blick schweift ueber meine Mitpatienten, die mit unterschiedlichsten Wunden und Verletzungen, teilweise in Begleitung ihrer Anghoerigen auf mehrfach gebrauchten Schragen kauern, die Ventilatoren verteilen die Luft nur ungleichmaessig…
Nein, dann doch lieber auf eigene Verantwortung zurueck ins Guesthouse, da weiss man was man hat.
Der freundliche Tuktuk-Fahrer hat zu meinem Glueck auch noch ein paar Kruecken zu Hause, die holen wir und ich humpele die ewigen 30 Meter zu meinem Bett.
So richtig gut geschlafen habe ich - trotz troestender Tropfen aus Germany - wirklich nicht und auf dem Weg zum Fruehstueck falle ich, voellig krueckenungewoehnt nochmal hin und schuerfe mir den linken Arm auf - man goennt sich ja sonst nichts.
Um 9.00 Uhr bringt uns erneut ein ordendliches Taxi ins General Hospital. Die kleine Frau Doktor ist schon wieder da und bietet mir Bett Nr. 180 an, es wuerde etwas dauern, bis der Orthopaede kommt und man mich vergipsen kann. Links von mir liegt ein alter Mann am Tropf, offensichtlich eine Kopfverletzung. Der rechts von mir bewegt sich gar nicht, hat aber einen Angehoerigen am Bett, auch die gegenueberliegenden sind nicht allein. Bunte Plastikblumen verzieren die abgeschabten Nachttische und mein Leintuch scheint erst seit diesem Jahr in Gebrauch.
Ich versuche zu pennen, aber um 12 Uhr - es ist Sonntag - ist mal richtig Besuchszeit und ca. 150 Menschen stroemen in den Saal und umschwirren die Betten, auch meins, bei dem Gewackel ist an Pennen nicht zu denken.
Endlich darf ich hinter einen Vorhang schluepfen und das kleine Ding von Doc nimmt meinen schweren Fuss und wickelt ihn fachmaennisch mit Gipsbinden ein - welch eine Erleichterung, der Fuss kann nicht mehr wackeln.


Um 14. Uhr kommt Raymonde mit dem Taxifahrer um mich abzuholen. Wir muessen noch eine weitere Stunde warten, bis der Gips hart ist. Ich frage nach einer Rechnung aber es koscht nix, weil der Laden staatlich ist - mit Mueh und Not kann ich ein paar Scheine als “Donation” an eine Schwester los werden…
Zurueck zum GH, Raymonde hat meinen chaotischen Koffer gepackt - besser als ich es bisher konnte.
Um 17.00 Uhr besteigen wir erneut das Taxi zum Airport. Dort kommt nach 6 Stunden Fahrt, nach einer kleinen Weile, eine Mitarbeiterin von Sri Lanka Airways mit einem Rollstuhl - welch Bequemlichkeit fuer mich - wir koennen gleich einchecken und muessen nur noch bis 5.00 Uhr frueh warten, bis der Flieger geht. Raymonde Die Guetige rollt mich durch den Airport, was bei 100 Kilo Lebendgewicht sicherlich kein Vergnuegen ist und wir mampfen und schlabbern in einem Plastikcafe Kunstfood, schliesslich ist die Nacht noch lang und mein Fuss pocht.

Operation - Theater

Die letzten Meter von der Flugzeugtuer bis zum Platz schaffe ich auf einem Bein huepfend. Man hat mir 3(!)Sitzplaetze zur Verfuegung gestellt und ich kann meinen Gipsfuss ausbreiten. Nach der Landung kommen vier Maennchen mit einem tragba(h)ren Rollstuhl und schleppen mich zur Gangway. Mit Blick auf die zerfurchten Gesichter der Traeger und mit Blick auf meine mangelnde Lust auf Abenteuer, huepfe ich dann doch lieber die gut 20 Treppchen zum Rollfeld runter. Alle sinds zufrieden.
Pass, Visa, Stempel…wir sind in Indien und der Taxifahrer nimmt Ruecksicht auf mich, faehrt behutsam ueber die allgegenwertigen Schwellen in der Fahrbahn.
Im Longuinhos am Colva Beach angekommen schultern mich zwei kraeftige Hoteldiener in mein Zimmer und ich wuchte mich aufs Bett. Als Raymonde Fenster und Tuer oeffnet schauemt mich zwischen Palmen und Strandhuetten das Arabische Meer an - gut 80 m von meinem Bett entfernt, 80 m zu weit!

Viel schoener ists doch jetzt mit ausgestreckten Gliedern dem leise pochenden Schmerz im Fuss in den Schlaf zu entfliehen.
Abends fuehle ich mich dann doch recht erfrischt; Raymonde hilft mir ins Bad und assistiert bei einem Kurzdusch und Schnellwasch, vom Roomservice lassen wir uns einen Snack bringen - die Nerven liegen erst in der Entspannung richtig blank - und wie geht es jetzt weiter?
So schnell wie moeglich nach Hause in sichere Gefilde! Oder abwarten, den Gips etwas qualifizieren und das Ganze bis zum planmaessigen Rueckflug aussitzen? Was ist ueberhaupt realisierbar?
Am naechsten Morgen schiebe ich mich mit Unterstuetzung eines Plastikstuhls in den Fruehstueckssaal, wo auch die anderen, durchaus bejahrten Neckermaenner mit noch tragenden Fuessen am Buffet entlangtaenzeln. Raymonde die Gnaedige bringt mir ein Tellerchen essbares und der laue Tee spuelts runter.
Also erst mal ab ins hiesige Krankenhaus: es nennt sich Apollo (wie weit die griechischen Goetter doch gekommen sind!)oder so und sei sehr gut weil privat.
In der Aufnahme halte ich dem Doc die srilankanische Roentgenaufnahme unter die wohlgeformte Nase und bitte gnaedig um einen neuen, professionellen Gips. Er laechelt milde und sagt trocken, dass bei zwei relativ komplizierten Frakturen eine Operation zwingend notwendig sei - hier oder wo auch immer, wobei weitere Verzoegerungen eher zu Komplikationen als zu Verbesserungen fuehrten…um 14 Uhr koennte er mich unter sein Messerchen nehmen.
Ich sehe mich um: Kein Vergleich mit dem Hospital in Matara, hier kann man vom Boden essen und die Schwestern tragen frisch gestaerkte Haeubchen. Nach einer Zehntelsekunde nicke ich und nach einer weiteren Zehntelsekunde haelt man mir ein Papier mit Kuli hin, erst mal unterschreiben und 15.000 Rupien auf den Tresen. Also gut, scheinen doch richtige Profis hier zu sein.
Ploetzlich bin ich umringt von Personal: Blutdruck, EKG, Blutabnahme, Puls und Zimmer zeigen, Formalitaeten hier, Formalitaeten da (Raymonde checkt souveraen meine German Krankenkasse, die Jungs und Maedels von der UKV geben komplettes okay fuer saemtliche Kosten).
Um 14 Uhr lege ich mich auf den Schragen und man faehrt mich in den tiefgekuehlten OP. Mein lieber Dr. Amey S. Velingker, Orthopaede aus Leidenschaft, spielt mir von seinem Handy flotte Musik vor (leider kein Zappa dabei) waehrend ich aufrecht sitzend die Anaestisistin zur Verzweiflung bringe, weil sie trotz ueberlanger Nadeln keinen rechten Zugang zu den Nervenstraengen meines Unterleibs findet (Strong Man!), dann aber doch. Der Aufforderung, mein rechtes Bein zu heben kann ich bald nicht mehr folgen und mein Unterleib verliert sich als anonyme Masse im Universum. So fuehlen sich vielleicht auch Querschnittsgelaehmte: Kopf und Arme voll intakt, aber der Rest: Zero!
Immerhin! Augen, Ohren, Nase und vor allen Dingen das Maeulchen gehen ja noch. Es koennte schlimmer sein. Auch das frierende Haendchen wird immer mal wieder von der netten Aerztin links von mir gedrueckt. Ueber mir piepsen sich Kurven und Lichter ueber einen Bildschirm. Ploetzlich sagt eine zarte Stimme auf deutsch neben mir, ich koenne durchaus reden und was fragen, sie sei Praktikantin hier und guckt sich das Ganze mal an. Zwischen Haube und Mundschutz erkenne ich ein paar wache Augen umrahmt von blonden Haaren; der Doc hat schon angefangen zu fummeln und ich bedauere, nicht darum gebeten zu haben, meine Kopfstuetze hoeher zu stellen, damit ich auch was sehen kann, aber vielleicht lieber doch nicht…
Die Prakti und ich flachsen ueber Monthy Pythons “Leben des Brian”, weil mir geht es grad wie dem Jesus: auf dem Bildschirm erscheint der erste Nagel in meinem Fuss. Da noch ein paar Schrauebchen, dort ein Buegel, sanft zurechtgeklopft, ich hoere Saegen, Haemmer, zisch und flusch, das Ganze wird jetzt wohl noch ausgeschaeumt und am Ende zugetackert.
Beim rausrollen aus dem OP ruft mir Doc Amey froehlich zu, in zwei Monaten koenne ich wieder Springen und huepfen und in 6 Monaten koenne man das Eisen entsorgen…


Apollo Victor Hospitals, Margao, Goa

Im sogenannten “Aufwachraum” ertasten meine nimmermueden Haende an Stelle eines Unterleibs einen riesigen, schwabbeligen Gel-Sack. Alle Empfindungen sind einseitig. Der Wille ist zu schwach das Fleisch zu bewegen. Geduld. Raymonde ist erschrocken, dass ich schon wieder reden kann, schon immer konnte. Aber ich bin wohlauf und sie kehrt beruhigt in unsere Rentnerburg Longuinhos zurueck.
Auf meinem Zimmer liegend mutiert der Gelsack zum Pudding, der zucken kann. Man kuemmert sich um mich; ueber die Handvene tropft mir Naehrloesung in den Kreislauf. Ich bin tapfer und bekomme zur Belohnung ein Glaeschen Apfelsaft.
Die Nacht mit ertraeglichen Schmerzen verbracht und nebenbei 3 Flaschen “Naehrloesung” mit der Hand verschluckt. Visite um 10 Uhr und Panik bei den Aerzten wg. meiner Zuckerwerte. Cool bleiben sage ich und bestehe darauf, weiterhin mein eigenes Insulin zu gebrauchen und meine Werte selbst zu dokumentieren. Der Konflikt wird von den Schwestern hin und her getragen: ich setze mich durch, soll dafuer der notwendigen Beobachtung wegen aber erst am morgigen Abend entlassen werden…
Raymonde kommt zu Besuch, bringt mir mein Buch, regelt weiterhin versicherungstechnisches.
Ich bekomme zu essen! Diaet versteht sich. Dass es wieder Abend und Nacht wird, erkenne ich an der Uhr, da kein Tageslicht von aussen durch die hermetisch verschlossenen Fenster dringt.
Wieder Visite um 10 Uhr. Mein Doc ist zufrieden, ich bin es auch. Entlassung ist auf 19 Uhr vorgesehen. Essen gut, Medikamente gut, keine Schmerzen. Personal und Service ausgezeichnet. Zwar habe ich keine vergleichbaren Erfahrungen mit Krankenhaeusern, aber so sollte es ueberall sein.
Nur die Klimaanlage nervt. Die ist naemlich grundsaetzlich zu kalt und individuell nicht regulierbar. Da schuetzt nur eine dicke Wolldecke - bei Stromausfall: Decke weg.
Abends, nachdem sie mich nochmals rundum durchgecheckt haben, lassen sie mich mit einer fetten Tuete voller Pillen endlich “laufen”: wir nehmen uns ein Taxi ins Hotel, wo mich das Abend-Buffet nur maessig begeistert…
 
Teil 3

Sri Lanka - jetzt schon nur noch Erinnerung

Nach der entspannten Nacht im Dschungelbungalow holt uns Soma, unser Fahrer, puenktlich um 9 Uhr zum Kulturtrip ab. Die alte Koenigsstadt Polonnaruwa verteilt ihren Palastbezirk ueber mehrere Ruinenfelder, die wenig Schatten werfen. Am beeindruckensden fuer mich sind die Buddah-Statuen von Gal Vihara; ein Sitzender von 4 m hoehe, der Stehende misst 7 m und der Liegende erstreckt sich auf beachtliche 12 m. Zum Mittagessen sind wir bei Soma zu Hause und Frau und Toechter fahren Leckereien auf im Haeuschen unter schattigen Palmen, von Hunden bewacht.

Die lange Rueckfahrt nach Kandy endet in der erfolglosen Suche nach einem Optiker, der Raymondes Brille reparieren kann, bzw. nach einem Bankautomaten, der meine Visa-Karte akzeptiert…
Am naechsten Morgen desgl. kein Erfolg: Keiner kennt hier die RSB-Bank, kein Optiker hat eine Erwaermmaschine fuer die Kunststoffbuegel von Raymondes Brille.
Wir eiern uns ueber schwere Wege ins 5 km ueber Kandy liegende Teemuseum, eine alte Fabrik, die bis in die 80er Jahre noch intakt gewesen sein soll. Alles in Holz; und auf luftig, kuehlen Etagen erfahren wir, dass Lipton ein Mensch war und die Teeproduktion von den Briten erst so richtig in die Gaenge gebracht wurde.
Um 12 Uhr dann Abfahrt nach Nurawa Elya, kurz Nurelia genannt. Es geht immer bergauf und man sieht nur Teeplantagen, abgesehen von dem immer mehr dem Schwarzwald vergleichbaren Baumbestand. Am Wasserfall von Ramboda ein schnuckeliges Restaurant, wie es der Brite liebt: Schattige Terassen, weite Aussicht in die Taeler und ein ausgezeichnetes Menu mit einer Kanne Tee anschliessend, versteht sich.
Am Nachmittag besuchen wir die “Bluefield-Tea-Factory”, wo nach einem kleinen Rundgang auch die Pflueckerinnen einen Obolus fuers fotoherhalten verlangen und eine weitere Kanne Tee das Ambiente abrunden.
Um 17.00 Uhr sind wir dann endlich in Nurelia, im Hotel “Single Tree” angekommen. Es ist kalt wie am Mummelsee, Stadtbummel nur mit Fliesjacke: Abendessen im Hotel, insg. eher einfache Ausstattung, aber warme Decken…
Der naechste Morgen ist waermer als erwartet; bei Sonnenschein geht es nun fuer Stunden nur abwaerts, dem Meer entgegen. Nochmals schoene, letzte Teepause mit Blick auf Wasserfall, dann im Schweinsgalopp (Soma faehrt was das Zeugs haelt) ueber Kalutara (kennen wir ja schon) nach Mirissa, weit hinter Galle, kurz vor Matara. Wir passieren das Tsunami-Monument mit gebuehrender Innehaltung und kommen gg. 19.30 im ruhig gelegenen “Paradise Beach Club”-Resort an, wo uns Rodney zwei nebeneinander liegende, neu erbaute Bungalows hat reservieren lassen; das Meer schwappt fast bis zur Hauswand. Das Abend-Buffet auf der Terasse (am weit und breit einzigen Pool) ist abwechslungsreich und wohlschmeckend - dennoch treibt mich ein woher auch immer gekommenes Infektlein naechtens mehrfach auf 00; zwei entschieden eingenommene Immodium und ein Flaeschlein Underberg bringen das alles aber wieder auf ertraeglichen Level, aber der naechste halbe Tag ist dann doch schoener im Bett, nur 2 m zum Klo.
Am Nachmittag wieder aufrechter Gang unter Palmen ueber einen weiten, von Haendlern und Bettlern freien Sandstrand, mit maechtigen Wellen, die sogar Surfer gluecklich machen. Das schoenste Stueck, das wir bisher entdeckt haben und fuer Ruhe und Erholsamkeit suchende ein ideales Plaetzchen - wenn man gut zu Fuss ist!
Entspannter Morgen am naechsten Tag. Endlich wieder fit. Ab in den Ort, Laundry suchen, rasieren lassen, im “Postamt” Briefmarken kaufen, bummeln, lesen, Nickerchen.
Nach dem Abendessen Internetcafe auf der andern Seite der Hauptstrasse entdeckt. Endlich erste Eindruecke loswerden koennen. Danach beschwingt ins Loch gefallen. Jetzt alles ganz anders…

Goa vorm Balkon

Endlich bei Tageslicht aufwachen koennen. Raymonde ist bereits um 7.00 Uhr zum Yoga. Gut solls ihr tun. Um 9.00 stochere ich mich zum Fruehstuecksraum des Longuinhos. Tee und Toasts mit Butter und Jam. Bloss kein spicy-indian-breakfast. Den Rueckweg ins Zimmer schaffe ich auch noch. Liegen und sitzen ist das Groesste. Lesen mit Blick auf das Arabische Meer - was kann es schoeneres geben? Abends grosser Ausflug ins Internet-Cafe und Essen in einem ordentlichen Restaurant, danach froh, wieder auf Bude zu sein. Froehliche Gespraeche und Karten spielen mit Raymonde. Rekonvaleszens de Luxe!
Tags drauf wieder in die Klinik zum guten Doc Amey. Der ist sehr zufrieden mit meinem Fuesschen. Ich wiederspreche nicht. Wir koennen also morgen beruhigt ins Kamat Holidays Home Resort in Kalangute umchecken.
Es ist Sonntag mittag als wir dort ankommen und das Management hat ums Handumdrehen einen Rollstuhl beigezaubert, mit dem es sich im grosszuegigen Appartement wunderbar auspacken und hin und her fahren laesst - leider versagt die Sitzmechanik nach kurzer Zeit und vorbei ists wieder mit der neu gewonnenen Mobilitaet und es wird wieder gehumpelt - auf einem Bein oder auf Kruecken.
Immerhin oeffnet sich der Wohnraum auf einen gerauemigen Balkon mit Sitzgelegenheit und ich blicke in einen gepflegten Garten, wo andere Gaeste faul in der Sonne raekeln und auf beiden Beinen hin gehen koennen, wohin sie wollen…
Der freundliche Gaertner reicht mir gleich eine frische Bluete und wuenscht mir gute Besserung, auch die vorm Balkon vorbeikommenden nehmen Anteil. Der Roomservice ist ausgezeichnet und versorgt uns mit allem lebensnotwendigen.
Abends wagen wir den Ausflug mit einem Taxi Richtung Strand wg. Restaurantbesuch. Raymonde ist zutiefst schockiert ueber Menschenaufkommen und “Mallorca-Ambiente”. Wir lassen uns wieder zurueckfahren, finden ein akzeptables Restaurant kurz vor unserer Hotelanlage und beruhigen uns wieder. Morgen will Raymonde nach Alternativen zur Unterkunft/Umgebung suchen. Ich habe Verstaendnis. Die Tage werden kommen, die Tage werden gehen…
Ich sitze auf meinem Balkon und komme mir vor wie jener Milliardaer, der mit seiner Luxusyacht auf Weltreise ging, in den Haefen, in denen er anlegte jedoch nie sein Schiff verliess, sondern sich vorstellte, wie wohl das Leben und Treiben jenseits des Hafens sich abspielte. Er wollte sich seine Phantasie nicht von der Realitaet kaputt machen lassen.
Dennoch nehme ich regen Anteil, an dem was Raymonde abends so berichtet:
Von ruhigen Straenden mit gemuetlichen Shacks, von buntbemalten Gesichtern, die anlaesslich eines Feiertags den Tempel besuchen, begleitet von einem ebenfalls geschmueckten Elefanten, von freundlichen Taxifahrern, die hilfsbereit die Wuensche ihrer Kunden zu realisieren versuchen, von Maerkten, wo sie im Schweisse ihres Angesichts, den Indern im Handeln nicht nachstehend, abends ihre Schaetze vor mir ausbreitet: Sogar an die traditionellen Gimmicks fuer meine lieben Kollegen hat sie gedacht.
Ich sitze auf meinem Balkon und lese Khilian Nagakars “Gottes Kleiner Krieger” und bins zufrieden, auch wenn die gedaempften Geraeusche von der Strasse Lust machen, sofort aufzustehen und sich ins Getuemmel zu stuerzen…
Goa wird mich wiedersehen und zwar auf zwei gesunden Fuessen und dann geht der Punk ab - ich ahne schon heute, was es alles nachzuholen gilt!
 
Blick zurück nach vorn

Ein Sabbatjahr der Erkenntnisse

Nu isses rum. Das Sabbatjahr. So lange drauf gewartet. So viele Reisepläne geschmiedet So große
Erwartungen gehabt.
Und dann kam alles anders: Ende Feb. 07 in einem tiefen Straßengraben auf Sri Lanka den
doppelten Bruch des linken, oberen Sprunggelenks geschnappt. Anfang März in Goa, Indien
erfolgreich operiert. Anfang Juli die Diagnose, dass besagtes oberes Sprunggelenk nach Infektion
von den munteren Bakterien nieder genagt worden war. Operation, nach 5 Wochen die latente
Feststellung, dass Bakterien vielleicht alle tot, aber, so Originalton Chefarzt: „Mit den Bakterien ist
es wie mit Osama Bin Laden: Man weiß nicht, ob er schon tot sei, oder ob er sich nicht doch noch
in irgendwelchen Höhlen versteckt hält, um eines Tages erneut zu zuschlagen.“
Gehen ging also nicht mehr. Klar war, dass nur eine so genannte Versteifung die Gehfähigkeit
wieder einigermaßen herstellen kann.
Also ab ins nächste Spezial-Krankenhaus. Als ich aus der Narkose aufwache, sprießen fünf
Edelstahl-Stängelchen links und rechts aus der Wade und da wo ich mal einen Knöchel hatte.
Weitere drei Wochen Klinikaufenthalt und anschließend drei Monate auf dem Sofa mit Gestänge
und Krücken, falls ich das Sofa mal verließ.
Halleluja, kurz vor Weihnachten O7 war das Eisen endlich raus und die Krücken in der Ecke. Ende
Januar 08 endlich humpelfähig und damit arbeitsfähig. Alles atmet auf: Die Kollegen, weil wieder
entlastet, mein Sofa aus den gleichen Gründen und ich, weil wieder belastbar.
Mitteilung der Personalstelle: „Sie haben zum 31.05. die Anwartschaftszeit erfüllt und können zum
01.06. die Freistellungsphase beginnen“. Wie, was - gerade hatte ich mich wieder eingearbeitet –
und gleich wieder weg? Ersatz in der Kürze der verbleibenden Zeit nicht zu beschaffen und den
KollegInnen entweicht hörbar die zuvor aufgeatmete Luft. Wir einigen uns auf September 08 und
alles ist wieder entspannt.
Ich kriege Akupunktur und spezielle Massagen und es geht immer besser – auch ohne
Schmerztabletten – Anfang August verabschiede ich mich und verschwinde.
Mein erstes „Highlight“ ist die „Zappanale“, ein dreitägiges Open-Air in Bad Doberan bei Rostock,
wo fast ausschließlich Musik von Frank Zappa gespielt wird – was für ein „Opener“!
Im September genieße ich die warmen Spätsommertage – mein Sofa fühlt sich erholt an – liege ich
doch nun gelegentlich aus freien Stücken und völlig legitim, weil „political correct“, auf ihm.
Mit dem laufen geht es so lala immer besser und ich buche zwei Wochen Mallorca – fern vom
Ballermann, um mir ein Motorrad auszuleihen zwecks „cruising the island“. Abends unterstützt
mich mein Gehstock beim Flanieren im Hafen von Gala Ratjada. Mitte Oktober ist es hier noch
„bade warm“, die Strände angenehm publikumsarm. Die Landschaft im Insel inneren
abwechslungsreich, insbesondere die nördlichen Berge traumhaft für Motorradfahrer.
Wieder zu Hause; irgendwie tritt mein linker Fuß in Sachen Heilung auf der Stelle und man trieztmich – obwohl ich die Nase voll hatte von den Ärzten – erneut einen Orthopäden aufzusuchen. Der stellt nüchtern fest: Versteifung nur ungenügend gelungen, deshalb noch mal operieren, d. h.: Das Gleiche in Grün - 3 Monate Gestänge, 3 Monate Krücken usw. und so fort.
Nach Einholung einer zweiten und einer dritten Meinung verpasst mir der zuletzt konsultierte Doc
eine Plastikschiene, die ich gerne 3 weitere Monate trage, nur um dem externen Fixateur zu
entgehen. Und siehe da, der Knochen stabilisiert sich wieder und meine private Krankenkasse ist
endlich bereit – unter Verzicht meinerseits auf eine teure Ultraschallbehandlung – den notwendigen
orthopädischen Schuh zu finanzieren!
Der Winter ist fast rum, als ich endlich in meine 1300-Eurostiefel gleite und die Tickets nach Bali
liegen bereits auf meinem Schreibtisch. Wir fliegen mit Malaysian-Airlines und haben in der
Kabine Platz bis zum abwinken. Bali bietet besonderes: Nicht nur Unterkünfte vom einfachen
Guesthouse bis zum etwas luxuriöseren Hotel, sondern auch die Möglichkeit, sich individuell mit
öffentlichen Verkehrsmitteln oder bezahlbaren, privaten Taxis überall hin bringen zu lassen. Die Restaurants bieten vielfältige Speisen und Bier gibt es auch überall. Malerische Buchten in tosender
Brandung, Korallenriffe zum Schnorcheln, Hindukultur, Paläste und Pagoden, freundliche
Menschen, die überall und jeden Tag ein Tempelfest feiern und mit Zimbeln und Trommeln ans
Meer prozessieren um Heiliges Wasser zu holen. Bali ist Balsam, auch wenn das ewige trepp auf
und trepp ab den ganzen Semmler fordern - trotz orthopädischem Schuh, aber ohne Stock.
Vier Wochen sind schnell vorbei wenn man reist, und kaum zu Hause, sitze ich meinem Reisebüro-
Freund Samuel auf dem Schreibtisch und buche: Vier Wochen Inselhopping im Golf von Thailand – Ko
Samui, Ko Phangan, Ko Tao. Günstig in den Sommermonaten, weil Touristenarme Zeit, direkt mit
Thai Airways ins Paradies. Am Flughafen in Frankfurt scheue ich mich nicht, meinen
Schwerbehindertenausweis zu zücken, zumal er jetzt auch das Merkmal G – sprich gehbehindert –
enthält. Ich bekomme drei Plätze für mich allein und erschlafe mir den entspanntesten Flug meines
Lebens. Jetzt, Mitte Juni, findet man überall günstige Unterkünfte, in denen von der zu Ende
gegangenen Saison ermüdetes Personal, die wenigen Gäste träge umsorgt. Is ja gut: Kochen können
sie trotzdem noch und auch die gelegentlichen Regenschauer sind erträglich, abends auf der kleinen
Veranda, in der Hängematte, mit Drink und Kippe und leisem Gedudel aus dem golfballgroßen
Lautsprecher, gespeist mit Lieblingsstücken aus dem MP3-Player.
Auf Ko Phangan finde ich einen Traumstrand mit Bambushütte direkt am Wasser und einem
exquisitem Restaurant. Die Gäste sind „Traveller“ wie ich und abends sitzt man lange zusammen,
bis jeder sich mit Taschenlampe in seine Unterkunft bewegt – ab 23 Uhr schweigen die Generatoren
die Beleuchtung ist aus und es ist fast still – wären da nicht die lärmenden Zikaden, aber das ist halt
Natur. Ganz im Gegensatz zu einer „Blackmoon-Party“, wo junge Menschen stundenlang aus
kleinen Eimern mit Strohhalmen Alkohol schlürfen und denen die monotone Technomusik nix
auszumachen scheint. Okay, auch diese Nacht ging vorüber und auch die Tage mit Ausflügen auf
kleinen Moppeds über Straßen, die keine waren, weil tief zerfurcht nach ausgiebigen Regenfällen in
den Wochen und Monaten zuvor.
Ko Tao war dann doch wieder eher ernüchternd: Nicht nur, dass die Straßen hier noch brutaler
waren als auf Ko Phangan, sondern weil ich mich in der Wahl meiner Unterkünfte mehrfach
vergriffen hatte. Erst waren es die Moskitos – kein Vergleich mit unseren stolzen Rheinschnaken,
dafür kleiner und lästiger – dann die Reaggebar nebenan, die Bob Marley einfach nicht in Ruhe tot
sein lassen wollten und zuletzt ein gar nicht mal so schlechtes Guesthouse, wo die leicht verrückte
Betreiberin, gut in den Fünfzigern, den ganzen Tag und die ganze Nacht in voller Lautstärke eine
DVD von „Seeed“ abspielen musste – zur Rushhour in der Reinhold-Frank-Straße. wäre es ruhiger
gewesen.
Die vierte Unterkunft fand ich dann in einer Hütte am beliebten und belebten Beach von Sadee, wo
es nachts so ruhig war, dass man fast die leicht gekräuselten Wellen am gut 100 m entfernten Strand
plätschern hören konnte.
Auch hier gehen vier Wochen nach gut 30 Tagen zu Ende. Und nun? Wohin jetzt? Rückflug nach
Frankfurt hin oder her: Ich hätte die Zeit und die Kohle übrig, jetzt ganz anderswo hin zu reisen.
Quer über den Teich, nach Nord- oder Südamerika, nach Australien, nach Indien, weil es näher
liegt? Nein, es ist gut so: Alleine reisen macht zwar unabhängig, ist aber auch anstrengend und nach
so vielen Sonnentagen war vielleicht auch zu Hause der Sommer eingekehrt: Am Baggersee liegen,
grillen, Motorrad fahren, und ins Kino gehen! Und überhaupt: Ich hatte nichts mehr zu lesen, auch
wenn das das kleinste Problem wäre, gute Bücher, auch in deutsch, findet man in Asien überall,
zumindest in touristisch erschlossenen Gebieten.
Mit dem deutschen Sommer war dann Mitte Juli nicht viel los und Zeitung lesen im Straßencafé
war angenehmer Müßiggang. Wenn es das Wetter zuließ: ausgedehnte Tagestouren auf dem
Motorrad ins Elsass, den Schwarzwald und den Kraichgau, mehrere Tage durch die Eifel und durch
Luxemburg und zuletzt – wie könnte es anders sein – wieder zur Zappanale nach Bad Doberan, was
für ein Finale!
Seit 1. September rudere ich wieder auf der „Galeere“ JGH, im Gleichklang mit den lieben
KollegInnen, die den „Heimkehrer“ herzlich empfangen und begrüßt hatten. Der Alltag hat jetzt
wieder Struktur, das Leben einen Sinn (das ist natürlich Quatsch, klingt aber gut), dennoch bin ich
durchaus dankbar für die Anerkennung und Wertschätzung, die einem durch die Arbeit wieder fährt.
Es macht Spaß, wieder „mit zu mischen“, von Fall zu Fall sich hangeln und mittags in der Kantine
„fachlich“ hecheln. Tja, acht Stunden sind kein Tag und auf wundersame Weise lassen sich dieAnforderungen, die der tägliche „Überlebenskampf“ fordert, in den Zwischenzeiten erfüllen:
Einkaufen, Wohnung sauber machen, Wäsche waschen und soziale Kontakte pflegen ebenso wie ins Kino gehen oder Motorrad fahren...
Und was hat das Ganze nun gebracht? Viel, würde ich bilanzieren: Zuerst die Erfahrung, dass es
anders kommen kann, als man es sich zuvor ausgemalt hat. Dann die Erkenntnis, dass nach dunklen
Stunden irgendwann wieder Licht am Ende des Tunnels flackert. Und die Erleuchtung, dass
Lebenszeit immer im hier und jetzt stattfindet und ausgefüllt werden möchte. Dies gilt vor allen
Dingen auch für die Zeit nach dem Arbeitsleben: Hüte Dich davor, nicht zu wissen, was Du im
Ruhestand treibst; rechtzeitig dafür sorgen, etwas zu tun zu haben, denn nur wer sich bewegt kann
nicht erstarren. In diesem Sinne wünsche ich frohes Schaffen – es gibt immer was zu tun – mit oder
ohne Sabbatjahr.


Wolfgang Semmler
 
Liebe Grüsse an Wolfgang und danke Sam, dass Du das hier eingestellt hast.
 
Ist wunderbar geschrieben musste einigemale auch schmunzeln.

Premasiri :smilele:
 
Freut mich, dass Euch Wolfgang seine Story gefällt.

Sein Sabbatjahr wurde wegen dem Unfall in Sri Lanka um ein Jahr verschoben, so dass es am 30.09.2009 zu Ende ging.

Mein Sohn Michael hatte ihm damals in 2007 eine Blog Seite eingerichtet, so dass er bereits in der Vorbereitungsphase seiner geplanten Round the World Reise berichten konnte.

Beim Rückweg vom Internetcafe in Sri Lanka, wo er gerade etwas dort eintrug, brach er sich das Bein......

Der Blog ist noch online, hier klicken
 
Ein ganz toller Bericht. Vielen Dank fürs reinstellen Samuel.
Im Moment trockene Grüsse aus dem Osten
Aliel
 
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