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[SIZE=+1]Folgende Geschichte schrieb der Dichter Karl May 1878 mit 7 weiteren exotischen Erzählungen auf. In Buchform kenne ich sie leider nicht und stelle hiermit den kompletten Text ein.[/SIZE][SIZE=+1]
Ein Abenteuer auf Ceylon
[/SIZE]Eine Geschichte von Karl May[SIZE=+1]
[/SIZE]Teil 1[SIZE=+1]
[/SIZE]Ich stand auf dem Leuchtturm von Pont de Galle, versunken im Genusse des herrlichen Panorama's, welches sich unten zu meinen Füssen ausbreitete.
Im Hafen lagen eine Menge Fahrzeuge vor Anker; ein und auslaufende Schiffe belebten die Szene; es waren unter ihnen alle Grössen und Gattungen vom grössten und prachtvollsten europäischen Dampfer bis herunter zur erbärmlichen chinesischen Dschunke vertreten.
Kleine Felseninseln, von Kokospalmen und Pandanen bestanden, ragten aus den schimmernden Fluten empor. Zwischen ihnen zogen sich Korallengärten hin, zwischen denen wundervolle rote und blaue Fische schwammen; Haifische zerrten an dem Kadaver eines toten Hundes; vielgliedrige Krabben krochen die Steilung der Felsen hinan.
Die Häuser und Hütten der Stadt lagen schalkhaft unter den Kronen der Palmen versteckt, und wo die reinlichen Strassen sich dem Blicke offen zeigten, da war eine Menge von Lebenserscheinungen, weidende Zebuochsen, schwarze Schildwachen, lustwandelnde Ladys, durchsichtig weisse englische Kinder mit braunen singhalesischen Ammen, tabakrauchende eingeborene Kinder, behäbig und stolz einherschreitende Muselmänner, schachernde Juden, bezopfte Malayas, Betel kauende Ratschputen, Buddhapriester im langen, schwefelgelben Gewande, Kopf und Bart nackt abgeschoren, englische Midshipmen in roter Jacke und mit schwerem Säbel, malerisch schöne Hindumädchen, Nase, Ohren, Stirn, Arme und Beine mit Gold und Edelsteinen behangen, zu erkennen.
Ueber dem Allen lag der bezaubernde Duft des Südens ausgegossen.. Die Sonne schickte sich an, in die Wogen des Meeres zu steigen, und warf ihre Reflexe vom tiefsten Purpur bis zum leuchtendsten Flammengold über die ruhelos bewegte Meeresfläche hin. Es war ein Anblick, in den man sich stundenlang versenken konnte, ohne seiner müde zu werden. Neben mir lehnte Sir John Emery Walpole. Er bemerkte von Alledem, was ich sah, nicht das Geringste.
Die herrlichen Tinten, in denen der Himmel glühte, das strahlendurchblitzte Krystall der See, das erquickende Balsam der sich abkühlenden Lüfte, die bunte, interessante Bewegung auf dem vor uns ausgebreiteten kostbaren Fleckchen Erde, sie gingen ihm verloren, sie waren ihm gleichgültig, sie durften es nicht wagen, seine Sinne auch nur einen Augenblick lang in Anspruch zu nehmen. Und warum? Wunderbare Frage! Was war denn eigentlich dieses Ceylon?
Ein Eiland mit einigen Menschen, einigen Tieren und einigen Pflanzen darauf und rund herum von Wasser umgeben.
Was ist das weiter?
Etwas Wunderbares oder gar Sehenswertes gewiss nicht!
Was ist Pont de Galle gegen London, was ist der Gouverneur zu Colombo gegen die Königin Viktoria, was ist Ceylon gegen Altengland, was ist die ganze Welt gegen Walpole Castle, wo Sir John Emery geboren worden ist?!
Der gute, ehrenwerte Sir John war ein Engländer im Superlativ. Besitzer eines unermesslichen Vermögens, hatte er noch nie daran gedacht, sich zu verehelichen, sondern war einer jener schweigsamen, zugeknöpften Englischmens, welche alle Winkel der Erde durchstöbern, selbst die entfernt esten Länder unsicher machen, die grössten Gefahren und Abenteuer mit unendlichem Gleichmute bestehen und müde und übersättigt endlich die Heimat wieder aufsuchen, um als Mitglied irgend eines berühmten Reiseclubs einsilbige Bemerkungen über die gehabten Erlebnisse machen zu dürfen.
Er hatte den Spleen in einem solchen Grade, dass seine lange, schmächtige, dabei aber ausserordentlich kraftvolle Persönlichkeit nur in höchst seltenen Augenblicken einen kleinen Anflug von Geniessbarkeit zeigte, besass dabei aber ein sehr gutes Herz, welches stets gern bereit war, die kleinen und grossen Seltsamkeiten, in denen er sich zu gefallen pflegte, wieder auszugleichen.
Nachdem er aller Herren Länder bereist hatte, war er zuletzt nach Indien gekommen, dessen General-Gouverneur ein naher Verwandter von ihm war, hatte es in den verschiedensten Richtungen durchstreift, war auch schon einige Male auf Ceylon gewesen und im Auftrage des Gouverneurs jetzt wieder hergekommen, um sich wichtiger Botschaften an den Stattalter zu entledigen.
Ich hatte mich ihm angeschlossen, weil seine Erfahrungen und Connexionen mir von grossem Nutzen sein konnten und war ihm so lieb und befreundet geworden, dass er trotz seiner scheinbaren Unnahbarkeit eine wahrhaft brüderliche Zuneigung für mich an den Tag legte. Jetzt also lehnte er, völlig unberührt von den uns umgebenden Naturreizen, neben mir und beschielte den goldenen Klemmer, welcher ihm vorn auf der äussersten Nasenspitze sass, mit einer Ausdauer, als wolle er an dem Sehinstrumente irgend eine wicht ige weltgeschichtliche Entdeckung machen.
Da fiel mir ein Zug von eingeborenen Soldaten auf, welcher sich einem weit in die See hinaustretenden Felsen näherte. An seiner Spitze schritt, von zwei Bewaffneten sorgfältig bewacht, ein an den Händen gefesselter Mann, seiner Kleidung nach ein Singhalese. Jedenfalls lag hier eine Execution vor und da ich das lebhafte Interesse, welches mein Gefährte für so etwas hegte, kannte, so machte ich den Versuch, ihn aus seiner welterschütternden Betrachtung aufzustören.
„Wollt Ihr nicht einmal dort hinüber schauen, Sir Wolpole? Ich glaube, es wird Einer in's Wasser geworfen?“
„Well. Lasst ihn ruhig ersaufen, Charley!“
Er hatte das Auge nicht von dem Klemmer gewandt und studierte mit unverändertem Eifer an demselben weiter.
„Was muss der arme Teufel nur verbrochen haben? Es sind ihm beide Arme zusammengeschnürt.“ „Gefesselt ist er?“ frug Sir John, dessen Teilnahme durch die letztere Bemerkung erregt wurde.
„Pfui, das ist feig und elend! Das würde man in Altengland nicht tun!“
„Ihr habt sehr Recht; der Britte ist in jeder Bezi ehung nobel! Wenn er Einen hängt, so lässt er ihn wenigstens mit freien Gliedern sterben. Die Barbarei aber kennt solche menschliche Rücksichten nicht. Seht nur, welche Menge von Wächtern den armen Kerl begleitet!“
Er warf jetzt wirklich einen Blick über das Brillengestell hinüber nach dem Orte, den ihm meine ausgestreckte Hand bezeichnete. Ich erwartete eine seiner gleichgültigen Bemerkungen, hatte mich aber diesmal getäuscht, denn seine Rechte fuhr empor, um den Klemmer näher an das Auge zu bringen und als das Gesicht durch die Manipulation noch nicht die gewünschte Schärfe erhielt, öffnete er das über seiner Brust hängende Etui, zog das darin befindliche Fernrohr hervor und richtete es auf den Delinquenten.
Es musste ihm irgend Etwas an demselben aufgefallen sein.
„Wollen wir wetten, Charley?“ frug er nach einiger Zeit, während welcher seine Mienen eine immer grösser werdende Spannung angenommen hatten. Der Engländer liebt das Wetten und Sir John war sogar leidenschaftlich für dasselbe eingenommen. Schon unzählige Male hatte er versucht, mich zu einer Wette zu bringen, leider aber immer vergebens.
„Worüber?“
„Dass sich dieser Mann nicht ertränken lässt.“
„Ah!“
„Nicht wahr, das klingt unmöglich? Ich setze hundert Souvereign's!“
„Ihr wisst, Sir, dass ich nicht wette.“
„Ja, das ist wahr! Ihr seid ein prächtiger Kerl, Charley, aber bis zum vollkommenen Gentleman habt Ihr's doch noch nicht gebracht, sonst würdet Ihr Euch nicht weigern, einmal einen guten Einsatz anzunehmen. Ich werde Euch aber doch beweisen, dass ich die Wette gewinnen würde!“
Der Zug war jetzt auf dem Felsenvorsprunge angekommen. Der Engländer steckte zwei Finger in den Mund und liess einen scharfen, durchdringenden Pfiff erschallen, welcher weithin zu vernehmen war. Auch der Verurteilte hörte ihn. Mit einer raschen Bewegung hob er den tiefgesenkten Kopf und blickte nach dem Leuchtturm hinauf. Walpole riss den weissen Ueberwurf von der Schulter, schwenkte ihn durch die Luft und stiess einen zweiten Pfiff hervor. Die Wirkung war eine augenblickliche und überraschende.
Der zum Tode des Ertrinkens Verurteilte schnellte sich durch die ihn umstehenden Soldaten bis an den Rand der Klippe und stürzte sich in die Fluten des Meeres hinab.
„Seht Ihr's, Charley, dass ich gewinnen würde? Es ist Walawi, mein früherer Diener, der beste Taucher und Schwimmer auf dieser langweiligen Insel, was aber der brave Mudellier, der ihn verurteilt hat, nicht zu wissen scheint. Er muss übrigens etwas verteufelt Schlimmes begangen haben, denn diese Districtverwalter lassen jeden Eingeborenen durchschlüpfen, wenn es nur irgend möglich zu machen ist. Sie sind ja selbst ausschliesslich Singhalesen. Seht, jetzt taucht er empor; die gebundenen Arme genieren ihn nicht; er schwimmt auf dem Rücken; er kommt grad auf den Leuchtturm zu!“
Der sonst so wortkarge Mann war mit einem Male ausserordentlich lebendig geworden. Er verfolgte jede Bewegung des Schwimmenden mit ungewöhnlicher Spannung, focht mit den Händen hin und her, als könne er ihm dadurch behilflich sein und machte mir dabei die notwendigen Erklärungen.
„Wie er stösst, wie schnell er vorwärts kommt! Er wird verfolgt. Aber ehe die Soldaten den Umweg von der Klippe bis zum Leuchtturm gemacht h aben, ist er längst hier. Ich kenne ihn. Wir sind mit einander über den Kalina-Ganga, über den KaluGanga und sogar über den reissenden Mehavella Ganga geschwommen. Er war früher Perlfischer auf den Bänken von Negombo und ist nur mir zu Liebe mit in das Innere der Insel gegangen. Ich erkannte ihn gleich und werde ihn retten. Da, da hat er das Ufer erreicht! Es ist ein Glück, dass kein Haifisch in der Nähe war, sonst hätte er wegen der gefesselten Arme einen schweren Stand gehabt. Kommt, Charley, wir gehen ihm entgegen! Er hat mich erkannt und kommt herbei.“
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Ein Abenteuer auf Ceylon
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Im Hafen lagen eine Menge Fahrzeuge vor Anker; ein und auslaufende Schiffe belebten die Szene; es waren unter ihnen alle Grössen und Gattungen vom grössten und prachtvollsten europäischen Dampfer bis herunter zur erbärmlichen chinesischen Dschunke vertreten.
Kleine Felseninseln, von Kokospalmen und Pandanen bestanden, ragten aus den schimmernden Fluten empor. Zwischen ihnen zogen sich Korallengärten hin, zwischen denen wundervolle rote und blaue Fische schwammen; Haifische zerrten an dem Kadaver eines toten Hundes; vielgliedrige Krabben krochen die Steilung der Felsen hinan.
Die Häuser und Hütten der Stadt lagen schalkhaft unter den Kronen der Palmen versteckt, und wo die reinlichen Strassen sich dem Blicke offen zeigten, da war eine Menge von Lebenserscheinungen, weidende Zebuochsen, schwarze Schildwachen, lustwandelnde Ladys, durchsichtig weisse englische Kinder mit braunen singhalesischen Ammen, tabakrauchende eingeborene Kinder, behäbig und stolz einherschreitende Muselmänner, schachernde Juden, bezopfte Malayas, Betel kauende Ratschputen, Buddhapriester im langen, schwefelgelben Gewande, Kopf und Bart nackt abgeschoren, englische Midshipmen in roter Jacke und mit schwerem Säbel, malerisch schöne Hindumädchen, Nase, Ohren, Stirn, Arme und Beine mit Gold und Edelsteinen behangen, zu erkennen.
Ueber dem Allen lag der bezaubernde Duft des Südens ausgegossen.. Die Sonne schickte sich an, in die Wogen des Meeres zu steigen, und warf ihre Reflexe vom tiefsten Purpur bis zum leuchtendsten Flammengold über die ruhelos bewegte Meeresfläche hin. Es war ein Anblick, in den man sich stundenlang versenken konnte, ohne seiner müde zu werden. Neben mir lehnte Sir John Emery Walpole. Er bemerkte von Alledem, was ich sah, nicht das Geringste.
Die herrlichen Tinten, in denen der Himmel glühte, das strahlendurchblitzte Krystall der See, das erquickende Balsam der sich abkühlenden Lüfte, die bunte, interessante Bewegung auf dem vor uns ausgebreiteten kostbaren Fleckchen Erde, sie gingen ihm verloren, sie waren ihm gleichgültig, sie durften es nicht wagen, seine Sinne auch nur einen Augenblick lang in Anspruch zu nehmen. Und warum? Wunderbare Frage! Was war denn eigentlich dieses Ceylon?
Ein Eiland mit einigen Menschen, einigen Tieren und einigen Pflanzen darauf und rund herum von Wasser umgeben.
Was ist das weiter?
Etwas Wunderbares oder gar Sehenswertes gewiss nicht!
Was ist Pont de Galle gegen London, was ist der Gouverneur zu Colombo gegen die Königin Viktoria, was ist Ceylon gegen Altengland, was ist die ganze Welt gegen Walpole Castle, wo Sir John Emery geboren worden ist?!
Der gute, ehrenwerte Sir John war ein Engländer im Superlativ. Besitzer eines unermesslichen Vermögens, hatte er noch nie daran gedacht, sich zu verehelichen, sondern war einer jener schweigsamen, zugeknöpften Englischmens, welche alle Winkel der Erde durchstöbern, selbst die entfernt esten Länder unsicher machen, die grössten Gefahren und Abenteuer mit unendlichem Gleichmute bestehen und müde und übersättigt endlich die Heimat wieder aufsuchen, um als Mitglied irgend eines berühmten Reiseclubs einsilbige Bemerkungen über die gehabten Erlebnisse machen zu dürfen.
Er hatte den Spleen in einem solchen Grade, dass seine lange, schmächtige, dabei aber ausserordentlich kraftvolle Persönlichkeit nur in höchst seltenen Augenblicken einen kleinen Anflug von Geniessbarkeit zeigte, besass dabei aber ein sehr gutes Herz, welches stets gern bereit war, die kleinen und grossen Seltsamkeiten, in denen er sich zu gefallen pflegte, wieder auszugleichen.
Nachdem er aller Herren Länder bereist hatte, war er zuletzt nach Indien gekommen, dessen General-Gouverneur ein naher Verwandter von ihm war, hatte es in den verschiedensten Richtungen durchstreift, war auch schon einige Male auf Ceylon gewesen und im Auftrage des Gouverneurs jetzt wieder hergekommen, um sich wichtiger Botschaften an den Stattalter zu entledigen.
Ich hatte mich ihm angeschlossen, weil seine Erfahrungen und Connexionen mir von grossem Nutzen sein konnten und war ihm so lieb und befreundet geworden, dass er trotz seiner scheinbaren Unnahbarkeit eine wahrhaft brüderliche Zuneigung für mich an den Tag legte. Jetzt also lehnte er, völlig unberührt von den uns umgebenden Naturreizen, neben mir und beschielte den goldenen Klemmer, welcher ihm vorn auf der äussersten Nasenspitze sass, mit einer Ausdauer, als wolle er an dem Sehinstrumente irgend eine wicht ige weltgeschichtliche Entdeckung machen.
Da fiel mir ein Zug von eingeborenen Soldaten auf, welcher sich einem weit in die See hinaustretenden Felsen näherte. An seiner Spitze schritt, von zwei Bewaffneten sorgfältig bewacht, ein an den Händen gefesselter Mann, seiner Kleidung nach ein Singhalese. Jedenfalls lag hier eine Execution vor und da ich das lebhafte Interesse, welches mein Gefährte für so etwas hegte, kannte, so machte ich den Versuch, ihn aus seiner welterschütternden Betrachtung aufzustören.
„Wollt Ihr nicht einmal dort hinüber schauen, Sir Wolpole? Ich glaube, es wird Einer in's Wasser geworfen?“
„Well. Lasst ihn ruhig ersaufen, Charley!“
Er hatte das Auge nicht von dem Klemmer gewandt und studierte mit unverändertem Eifer an demselben weiter.
„Was muss der arme Teufel nur verbrochen haben? Es sind ihm beide Arme zusammengeschnürt.“ „Gefesselt ist er?“ frug Sir John, dessen Teilnahme durch die letztere Bemerkung erregt wurde.
„Pfui, das ist feig und elend! Das würde man in Altengland nicht tun!“
„Ihr habt sehr Recht; der Britte ist in jeder Bezi ehung nobel! Wenn er Einen hängt, so lässt er ihn wenigstens mit freien Gliedern sterben. Die Barbarei aber kennt solche menschliche Rücksichten nicht. Seht nur, welche Menge von Wächtern den armen Kerl begleitet!“
Er warf jetzt wirklich einen Blick über das Brillengestell hinüber nach dem Orte, den ihm meine ausgestreckte Hand bezeichnete. Ich erwartete eine seiner gleichgültigen Bemerkungen, hatte mich aber diesmal getäuscht, denn seine Rechte fuhr empor, um den Klemmer näher an das Auge zu bringen und als das Gesicht durch die Manipulation noch nicht die gewünschte Schärfe erhielt, öffnete er das über seiner Brust hängende Etui, zog das darin befindliche Fernrohr hervor und richtete es auf den Delinquenten.
Es musste ihm irgend Etwas an demselben aufgefallen sein.
„Wollen wir wetten, Charley?“ frug er nach einiger Zeit, während welcher seine Mienen eine immer grösser werdende Spannung angenommen hatten. Der Engländer liebt das Wetten und Sir John war sogar leidenschaftlich für dasselbe eingenommen. Schon unzählige Male hatte er versucht, mich zu einer Wette zu bringen, leider aber immer vergebens.
„Worüber?“
„Dass sich dieser Mann nicht ertränken lässt.“
„Ah!“
„Nicht wahr, das klingt unmöglich? Ich setze hundert Souvereign's!“
„Ihr wisst, Sir, dass ich nicht wette.“
„Ja, das ist wahr! Ihr seid ein prächtiger Kerl, Charley, aber bis zum vollkommenen Gentleman habt Ihr's doch noch nicht gebracht, sonst würdet Ihr Euch nicht weigern, einmal einen guten Einsatz anzunehmen. Ich werde Euch aber doch beweisen, dass ich die Wette gewinnen würde!“
Der Zug war jetzt auf dem Felsenvorsprunge angekommen. Der Engländer steckte zwei Finger in den Mund und liess einen scharfen, durchdringenden Pfiff erschallen, welcher weithin zu vernehmen war. Auch der Verurteilte hörte ihn. Mit einer raschen Bewegung hob er den tiefgesenkten Kopf und blickte nach dem Leuchtturm hinauf. Walpole riss den weissen Ueberwurf von der Schulter, schwenkte ihn durch die Luft und stiess einen zweiten Pfiff hervor. Die Wirkung war eine augenblickliche und überraschende.
Der zum Tode des Ertrinkens Verurteilte schnellte sich durch die ihn umstehenden Soldaten bis an den Rand der Klippe und stürzte sich in die Fluten des Meeres hinab.
„Seht Ihr's, Charley, dass ich gewinnen würde? Es ist Walawi, mein früherer Diener, der beste Taucher und Schwimmer auf dieser langweiligen Insel, was aber der brave Mudellier, der ihn verurteilt hat, nicht zu wissen scheint. Er muss übrigens etwas verteufelt Schlimmes begangen haben, denn diese Districtverwalter lassen jeden Eingeborenen durchschlüpfen, wenn es nur irgend möglich zu machen ist. Sie sind ja selbst ausschliesslich Singhalesen. Seht, jetzt taucht er empor; die gebundenen Arme genieren ihn nicht; er schwimmt auf dem Rücken; er kommt grad auf den Leuchtturm zu!“
Der sonst so wortkarge Mann war mit einem Male ausserordentlich lebendig geworden. Er verfolgte jede Bewegung des Schwimmenden mit ungewöhnlicher Spannung, focht mit den Händen hin und her, als könne er ihm dadurch behilflich sein und machte mir dabei die notwendigen Erklärungen.
„Wie er stösst, wie schnell er vorwärts kommt! Er wird verfolgt. Aber ehe die Soldaten den Umweg von der Klippe bis zum Leuchtturm gemacht h aben, ist er längst hier. Ich kenne ihn. Wir sind mit einander über den Kalina-Ganga, über den KaluGanga und sogar über den reissenden Mehavella Ganga geschwommen. Er war früher Perlfischer auf den Bänken von Negombo und ist nur mir zu Liebe mit in das Innere der Insel gegangen. Ich erkannte ihn gleich und werde ihn retten. Da, da hat er das Ufer erreicht! Es ist ein Glück, dass kein Haifisch in der Nähe war, sonst hätte er wegen der gefesselten Arme einen schweren Stand gehabt. Kommt, Charley, wir gehen ihm entgegen! Er hat mich erkannt und kommt herbei.“
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