Mut und Kreativität

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Mut nach dem Tsunami
Von Christoph Hein

17. Dezember 2005 Vor knapp einem Jahr verloren sie alles: Familienmitglieder, Freunde, ihr Hab und Gut. Der Tsunami am zweiten Weihnachtstag vergangenen Jahres tötete mehr als 200 000 Menschen in Asien - die genaue Zahl wird nie feststehen.

Er traf nicht nur die Fischer: Auch Händler verloren ihre Läden, Handwerker ihre Kunden. Minuten nach der schlimmsten Flutkatastrophe seit Menschengedenken standen sie vor dem Nichts. Die Überlebenden aber bewiesen einen eisernen Willen, Einfallsreichtum und Fleiß.

Viel hatten sie nie. Doch aus dem wenigen machten sie etwas. Schon Tage nach der Verwüstung begannen sie, ihr Leben zu ordnen. Die einen bauten wieder auf, was sie vorher hatten. Andere wagten sich auf Neuland vor. Sie sahen ihre Chance und ergriffen sie beim Schopf. Sie gründeten ein Unternehmen, begannen zu handeln. Die Menschen entlang der Küste von Sri Lanka geben ein Beispiel für Lebenskraft und Kreativität. Sie machen Mut.

Text: F.A.Z., 17.12.2005, Nr. 294 / Seite 13
Bildmaterial: Christoph Hein

Der Schiffsbauer
Der Bäcker
Der Maler
Der Busunternehmer

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Der Schiffsbauer

Ein Jahr nach dem Tsunami
Der Schiffsbauer
Von Christoph Hein


16. Dezember 2005 Seine Hand tätschelt den Rumpf. Streicht darüber, als sei er ein Kunstwerk. Dabei ist der Vallam nichts anderes als ein Werkzeug. Ein Werkzeug, fast vierzehn Meter lang, für neun Fischer und bis zu sechs Tonnen Fisch. Auf der Seite prangt in strahlendem Gelb eine Meerjungfrau. In Singhalesisch hat W. Bandu den Namen auf den Bug gepinselt: „Wohlstand”.


„Unser Kunde hat es so bestellt”, sagt der Schiffsbauer. Der Kunde ist in der kleinen Werft in Balapitya König. „Wir haben uns jetzt auf die etwas größeren Boote verlegt. Die bauen wir aus Fiberglas, dann wiegen sie nicht mehr eineinhalb Tonnen wie die Holzboote, sondern nur noch 900 Kilogramm”, sagt Bandu. Elf Tage brauchen er und sein Arbeiter für ein solches Schiff. „Beim ersten Mal waren es noch 17 Tage, aber wir haben dazugelernt”, sagt der Achtundzwanzigjährige und lacht.

Alle brauchten neue Schiffe

„Wohlstand”, das könnte auch das Motto über Bandus Werft sein. Der junge Gründer ist selbstbewußt, und das aus gutem Grund. Für die Verhältnisse entlang der Küste von Sri Lanka knapp ein Jahr nach der Todeswelle geht es seiner Familie blendend. Bandu hatte eine solide Ausbildung als Bootsbauer gemacht und bei der richtigen Gelegenheit ohne Zögern zugegriffen: „Zwei Tage nach dem Tsunami war mir klar, daß das Geschäft mit den Booten eine Riesensache wird. Alle brauchten ja neue Schiffe”, sagt er.

Dann ging es ganz schnell: Blue Star Marine, der Schiffsbauer, bei dem er gelernt hat, unterstützte den Jungunternehmer mit ersten Aufträgen. Bandu bekam von einem Freund ein leeres Grundstück zur Verfügung gestellt und machte sich einfach an die Arbeit. „Wir sind ins kalte Wasser gesprungen, haben direkt mit einem großen Schiff begonnen.”

Optimismus - auch wenn die Nachfrag nachläßt

Trotzdem war es nicht leicht. „Wir brauchten ja zuerst Geld für die Materialien”, erinnert er sich. „Zuerst mußten wir den Schmuck von Kanchana, meiner Frau, beleihen. Fiberglas ist teuer.” Dann aber erhielten sie von der katholischen Kirche in Italien eine Unterstützung von 120.000 Rupien, ausgezahlt von einem buddhistischen Mönch. Es folgte Seeds (Sarvodaya Economic Enterprise Development Services Ltd.), eine der führenden Hilfsorganisationen auf Sri Lanka, mit einem Kredit. „Damit kommen wir über die Runden”, sagt Bandu. 300 000 Rupien kostet ein großes Boot, 250 000 Rupien gehen in das Material. Doch auch nachdem er seinen Arbeiter ausbezahlt hat, ist Bandu ein höchst erfolgreicher Kleinunternehmer.

„Allerdings merken wir schon, daß die Nachfrage nach den Schiffen jetzt nachläßt”, sagt er. Macht er sich Sorgen über die Zukunft? „Nein!” Bandu lächelt über das ganze Gesicht. „Wir bauen noch größere Boote, das können nicht viele. Und Wassertanks aus Fiberglas.” Bald reicht das Geld dann, um ein Grundstück zu kaufen und ein Haus zu bauen. „Dann hat auch Shahini einen Platz, wo sie hingehört”, sagt Bandu. Anders als so viele Kinder in der Nachbarschaft wird die dreijährige Tochter von Kanchana und Bandu keine Not leiden müssen.


Text: F.A.Z., 17.12.2005, Nr. 294 / Seite 13
Bildmaterial: Christoph Hein
 
Der Bäcker

Ein Jahr nach dem Tsunami
Der Bäcker
Von Christoph Hein


16. Dezember 2005 Es ist dieser Duft, der Zukunft verspricht. Dieser Duft nach warmem, frischem Brot. Es ist dieser Duft, der Mohamed Faris Vergessen gewährt. Der ihm Sicherheit gibt, einen Lebensunterhalt, ein sicheres Auskommen für seine ganze Familie; für Lufina, seine Frau, und Aisha Manal, das neun Monate alte Töchterchen.


Faris muß vergessen. Muß vergessen, was an diesem fürchterlichen 26. Dezember geschah. Wie seine Verwandten litten, seine Nachbarn, sein Geschäft, der ganze Ort. Der Tsunami zerstörte die Uferpromenade des Küstenstädtchens Hambantota tief im Süden der Insel. „Die erste Welle ging noch. Die zweite hat uns dann alles genommen”, erinnert sich der hagere Mann.

Drei Jahre Arbeit innerhalb weniger Minuten zerstört

„Zum Glück hatte ich an diesem Morgen Nackenschmerzen. Deshalb bin ich erst zum Arzt gegangen, wollte meinen Laden an der Promenade später aufmachen. Dann habe ich die Schreie gehört, vom Ufer her kamen mir die Menschen entgegengelaufen.” Der Tsunami hatte die Wasserseite von Hambantota mit tödlicher Macht zerschmettert. Allein auf dem Dorfmarkt verloren an diesem Morgen des zweiten Weihnachtstages mehr als 5000 Menschen ihr Leben. Von Faris' Textilgeschäft standen nur noch Ruinen. Die Hemden, die Saris, die Sarongs, die Shorts, die Mützen - alles weggewaschen. Die Ladeneinrichtung zerstört, die Wände eingedrückt, überall Schlamm.

„Ich hatte den Laden erst im März vergangenen Jahres eröffnet - und nun war alles innerhalb weniger Minuten zerstört”, sagt Faris. „Drei Jahre hatte ich in Qatar gearbeitet, bis ich das Geld für das Geschäft zusammenhatte.” Geblieben war nichts.

Wohl aber die Familie. Und die ließ Faris nicht verzweifeln. „Mein Cousin Faisal hat auch am Golf gearbeitet. Er hat mir sofort Geld geliehen”, sagt Faris. Das war die Grundlage des Neuanfangs. Einen Laden wollte er wieder aufmachen. Doch der sollte nicht mehr am Wasser liegen, sondern in der Innenstadt. Und Kleidung mochte Faris auch nicht mehr verkaufen. „Zwei Tage nach dem Unglück war uns klar: Wir werden eine Bäckerei gründen. In unser Textilgeschäft kamen oft drei Tage lang keine Kunden. Brot aber brauchen die Menschen täglich”, sagt er.

Geschick - auch in Finanzdingen

Weniger als ein halbes Jahr nach der Katastrophe eröffneten sie „Bismi Bakers”. Gleich neben Nibraas, dem Juwelier. Am Ende der Straße liegt die hellblaue Moschee. „Hier schlendern die Menschen vorbei”, sagt Faris. Die ganze Familie packte an. Faisal stellte das Geld bereit, der Vater wollte den Laden führen, eine Cousine bedienen, Faris selber war für die Planung zuständig. Heute tritt der Gründer auf wie ein Bäcker. „Das Mehl aus Sri Lanka taugt nichts. Wir nehmen lieber das importierte Mehl aus der Türkei. Das aber bekommen wir nicht immer”, sagt er fachmännisch. Zunächst stellte die Familie zwei Bäcker ein, denn Brot backen, das konnten sie selber noch nicht, als sie ihr Geschäft aufmachten. „Aber wir haben es schnell gelernt”, sagt er.

Jungmanager Faris beweist Geschick - auch in Finanzdingen. Auf ein Lakh, also 100.000 Rupien, oder umgerechnet 815 Euro Monatsumsatz kommt der Laden mit dem kanariengelben Schild vor der Tür inzwischen. Der Vetter ist ausbezahlt. Dafür hatte Faris kurzfristig den Goldschmuck seiner Frau zum Pfandleihhaus gebracht - und mit den ersten Einnahmen wieder ausgelöst. Das allein aber hätte nicht gereicht.

Geöffnet wird um 3.30 Uhr - für die Fischer

So kam ihm die Hatton National Bank, die ihre Niederlassung gleich um die Ecke hat, zu Hilfe. Mit deren Kleinkreditprogramm, gestützt auch von Spenden und Rat der deutschen Sparkassen, bekam der junge Bäcker weitere 500.000 Rupien. „Damit haben wir die ersten Maschinen wie die große Knetmaschine und den Ofen kaufen können.” Erst vor ein paar Monaten gegründet, ist „Bismi” schon ein Anlaufpunkt im Ort geworden. „Wir machen nachts um 3.30 Uhr auf, damit die Fischer unser Brot kaufen und mit aufs Meer nehmen können”, sagt der 39 Jahre alte Bäckereibesitzer. „Von dem Kastenbrot allein aber könnten wir nicht leben. Das verkaufen wir für 17 Rupien, da bleibt uns bei jedem Brot nur eine Rupie Gewinn.” Aber „Bismi” bietet so viel mehr: Wurstbrötchen und Kuchen, Baguette, Säfte und den Elefanten-Sprudel. Dessen grüne Kisten türmen sich neben dem Eingang.

Das aber soll erst der Anfang sein: Bald will Faris einen neuen Kredit aufnehmen, den er für den Ausbau braucht. „Mein Vater hat sechzig Jahre im Hotelgewerbe gearbeitet. Er träumt davon, eines Tages unser ,Bismi' um ein kleines Gasthaus zu erweitern.” An Faris soll es nicht scheitern. Er will, daß der Werbespruch seiner kleinen Bäckerei in Hambantota auf Sri Lanka Wirklichkeit wird: „Bismi, Ihr schmackhafter Begleiter für ein ganzes Leben.”


Text: F.A.Z., 17.12.2005, Nr. 294 / Seite 13
Bildmaterial: Christoph Hein
 
Der Maler

Ein Jahr nach dem Tsunami
Der Maler
Von Christoph Hein


16. Dezember 2005 Sein Geheimnis sind die kleinen Papiertüten. Gedreht aus alten Zeitungen, als wolle man damit den Zuckerguß auf einen Kuchen spritzen. P. I. Dias aber drückt weiße Farbe heraus, weiße Farbe auf schwarzen Samt. „Das ist meine eigene Erfindung”, sagt der 59 Jahre alte Maler.


Aus den kräftigen Strichen wachsen wohlproportionierte Frauen. Den jahrtausendealten Mythen Sri Lankas entsprungen, sind sie geschaffen für die Touristen von heute. Dias hat die Hotels an der Küste beliefert, seine Bilder am Strand von fliegenden Händlern verkaufen lassen. Vorher. Nach dem Tsunami aber blieben die Touristen aus. Und Dias konnte kein Geschäft mehr machen.

Die Verzweiflung schnell abgestreift

Das aber hat er immer gemacht. Früh hat Dias gelernt, mit seinen Ideen, seiner spielerischen Phantasie Geld zu verdienen. Wie damals, als er als Gastarbeiter nach Saudi-Arabien ging und dort bald Schildermaler für Mitsubishi wurde. Dann die erste Katastrophe: Nach fünf Jahren verlängerten die Behörden sein Visum nicht mehr. „Ich war völlig verzweifelt”, sagt Dias. Die Verzweiflung aber streifte er schnell ab. Und meldete sich beim staatlichen Fernsehen von Sri Lanka: Er, der Maler, habe da ein paar Puppen entworfen. So brachte Dias, der Maler aus Colombo, die südasiatische Version der Muppet Show auf den Bildschirm. Und hatte wieder ein Auskommen für seine Familie.

„Diesmal aber war es viel schlimmer”, erinnert er sich an den Tsunami. „Wir sind um unser Leben gerannt.” Noch heute ist seine Wohnung in Sichtweite des Strandes spärlich möbliert. „Das Wasser stand ja hüfthoch. Es war alles kaputt.” Auch der Samt, den er als Leinwand nutzt, war weg, sein Bilderlager vernichtet. Schlimmer aber: „Ich habe mindestens die Hälfte meiner Abnehmer, die Verkäufer am Strand, verloren. Sie sind tot.”

Die Kunden kommen frühestens in der Weihnachtssaison zurück

Jetzt nehmen die Händler die Bilder nur noch in Kommission „Sie haben ja selber kein Geld mehr. Und unsere Kunden, die Touristen, kommen frühestens in dieser Weihnachtssaison zurück.” Die Hoffnung treibt ihn. Die Frauen, die Umzüge der Elefanten in Kandi, Wasserfälle - Dias hört nicht auf zu malen. An der Stirnseite des Hauses hängt sein Meisterstück. Ein großformatiges Bild, Tausende Striche, Tausende Papiertüten, jeder Strich so fein, als hätten die Göttinnen selber Dias die Hand geführt. Hat sich schon ein Museum dafür interessiert? „Ich kann es nicht verkaufen”, sagt Dias. „Dort war früher unsere Tür. Nach der Welle gähnte da nur noch ein Loch. Also habe ich das Bild darüber befestigt, um das Haus zu verschließen.” Er lächelt hinter seinen dicken Brillengläsern: „Das sieht besser aus als vorher. Ich glaube, wir lassen es dort.”


Text: F.A.Z., 17.12.2005, Nr. 294 / Seite 13
Bildmaterial: Christoph Hein
 
Der Busunternehmer

Ein Jahr nach dem Tsunami
Der Busunternehmer
Von Christoph Hein


16. Dezember 2005 Hier herrscht Leere. Im Haus. Und in den Herzen. „Wie eine Schlange kam die Welle. Sie kam so schnell, dann schnappte sie zu”, sagt Ishaq, der Sechsjährige. Fathima, seine Mutter, mag nicht mehr im Haus schlafen. „Die Ventilatoren an der Decke hören sich an wie das Rauschen des Wassers.”


Als das Wasser kam, zerschlug es die Türen, nahm die Möbel mit, das Lager mit den Elektrowaren, das andere mit dem Parfüm, und Ishaq klammerte sich eine halbe Stunde am Fensterkreuz fest. Dann waren da nur noch Schlamm, Gestank, Stille.

Fahren von Sonnenaufgang bis -untergang

„Vorher haben wir gut verdient: Ich habe Reiskocher und Videorecorder aus Arabien eingeführt. Fathima wollte mit dem Ölparfüm einen eigenen Laden aufmachen”, sagt Abdul. Abdul Azbez Mahamed Ilyas war ein gemachter Mann. Bis zum Morgen des 26. Dezember. „Von einer auf die andere Minute standen wir vor dem Nichts.”

Heute näht Fathima für die Nachbarschaft. Und Abdul ist seit jüngstem Busunternehmer. Neue Türen für das Haus, neue Möbel konnten sie sich noch nicht leisten. Aber für den bunten Kleinbus haben sie schließlich einen Kredit bekommen. Nun fährt der Bus von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. „Wir mußten den Leuten erst klarmachen, daß es eine neue Route gibt.” Seit sie es verstanden haben, macht die Familie 2000 Rupien am Tag mit dem Transportunternehmen.

Fischer bekamen alles - die Händler gingen leer aus

Nein, einfach war es nicht. „Auf einmal mußten wir betteln um unser Essen. Und um einen Kredit, damit wir uns wieder etwas aufbauen konnten”, sagt Abdul. „Die Fischer haben alles bekommen. Die kennen sich ja alle untereinander. Und jeder im Ausland wollte nur für Fischerboote spenden. Wir Händler aber gingen leer aus.”

Nur mit Mühe gelang es ihm, die Banker von seinem Plan mit dem Bus zu überzeugen, Geld loszueisen. Langsam, ganz langsam kehren die guten Träume zurück. „Hier am Wasser wollen wir nicht mehr wohnen. Wir werden ein neues Haus bauen. Und aus diesem hier ein Gästehaus machen. Irgendwann werden die Touristen ja wiederkommen”, sagt Abdul. Fathima zupft ihren Schleier zurecht: „Gott hatte uns alles geschenkt. Er hat uns alles genommen. Und er wird es uns eines Tages wiedergeben.”


Text: F.A.Z., 17.12.2005, Nr. 294 / Seite 13
 
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