So sieht es aus..........

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Ein Bericht im "Hamburger Abendblatt " vom 17.11.2007 über das Erlebnis "Ayurveda"........



Blätterzählen im Ayurveda-Dickicht


Duftende Kräuter, aromatische Küche, ölige Massagen: zu Besuch im Resort einer Familie, die sich seit 200 Jahren der Lehre vom Wissen des Lebens widmet.


Von Stefan Nink


Die beiden links noch, dann bin ich mir ganz sicher, dass es 87 sind. Nicht 86 oder 88, und auch nicht 92, wie ich zwischenzeitlich mal meinte. Nein: 87. Man mag gar nicht glauben, wie kompliziert es sein kann, in einer Badewanne zu liegen und Blätter zu zählen. Das soll ich aber, damit ich nicht einnicke. Als ob diese Gefahr jemals bestehen könnte! Das Badewasser wirft gleich Bläschen, so heiß ist es, und ständig läuft mir das Öl in die Augen, mit dem mein Kopf eben noch massiert wurde. Außerdem piekst das Spinatzeugs, in das sie mich gepackt haben. Ich versuche, mit dem großen Zeh ein Loch in das Kräuterdickicht an der Wasseroberfläche zu stoßen. Kühler wird es dadurch nicht. Zur Ablenkung kontrolliere ich noch mal das Ergebnis der ayurvedischen Algebra.


Dass ich die Blätter des Bhodibaums zählen soll, dessen dürres Geäst über der Wanne kront, hat der Doc empfohlen. Lord Buddha habe das auch getan. Ich dachte, der Erleuchtete habe unter einem Baum meditiert. Dass er wie ich auf kleiner Flamme gegart worden war, wusste ich nicht. Was ich aber weiß, ist: Der erste Anwendungstag ist gleich vorbei, ich darf sein Ende nur nicht verschlafen.

Wenn Sie beim Stichwort “Ayurveda” von Massagen im Fünf-Sterne-Resort träumen, von samtenen Ölen und regenbogenfarbenen Gesundheits-Cocktails, die ihnen Kellner zusammen mit frischen Flauschhandtüchern an den Pool bringen, wenn Sie an Duftkerzen denken und an “Café del Mar”-Klänge - eben all das, was Ihnen Frauenzeitschriften penetrant als Ayurveda verkaufen -, dann erwartet Sie hier eine unsanfte Landung in der Realität. Das “Siddhalepa Ayurveda Health Resort” in Sri Lanka ist alles andere als ein Wohlfühl-Tempel, eher der Hotelgeschäftszweig des berühmtesten Ayurveda-Familienunternehmens im Land. Die Hettigodas beschäftigen sich seit mehr als 200 Jahren mit nichts anderem als mit der “Lehre vom Wissen des Lebens”. Man kann sich vorstellen, dass ihnen ayurvedische Kleidungs- und Einrichtungstipps in deutschen Lifestylemagazinen egal sind.


Zunächst bekommt jeder eine kurze Einführung in die Lehre vom Vid (Wissen) des Ayu (Leben). Der Doc sieht aus wie aus einem Sri-Lanka-Bildband: asketische Gestalt, markante Gesichtszüge, eisgraues Haar. Und ganz traurige Augen hat er, da passt es gut, dass er erst einmal seufzt: Ayurveda erklären? Unmöglich! Nach 35 Jahren Berufserfahrung könne er vielleicht die Grundzüge der Lehre beschreiben, mehr nicht: ,Jeder Mensch hat ein bestimmtes Verhältnis der drei Lebensenergien Vata, Pitta und Kapha in sich. Ist dieses Verhältnis gestört, wird er krank. Ayurveda versucht, das ursprüngliche Gleichgewicht wiederherzustellen.” Er seufzt noch einmal, als wisse er nicht genau, was er mit mir anfangen soll. Weil ich aber nun schon mal da bin, stellt er mir Fragen zu meinem Befinden.


Dann misst er für eine Minute den Puls und diagnostiziert: “Sie sind ein Kapha-Typ, davon ist am meisten in Ihnen. Vom Moment, als Sie aus dem Mutterleib kamen, bis zu jenem Tag, an dem man Sie sechs Fuß tief unter die Erde schaufelt.” Und das bedeutet? Der Arzt schaut traurig. “Sie sind ein wenig behäbig. Bleiben lieber sitzen, als zu laufen. Nehmen sehr schnell sehr viel zu. Sind maßlos beim Essen. Beim Trinken auch. Und auch beim . . .” Stopp! Es reicht! Was tun wir dagegen? Die Antwort wird von einem besonders traurigen Blick untermalt: “Man kann nichts dagegen tun. Sie sind und bleiben Kapha. Zurzeit sind Sie allerdings ziemlich aufgedreht, weil das Vata außer Kontrolle ist. Das dämpfen wir. Ansonsten lassen wir alles, wie es ist.”


In meinem Fall geht das Vata-Dämpfen wie folgt: Zuerst wird mein Kopf massiert, bis ich es tief drinnen im Hirn knacksen höre. Anschließend wird etwa ein Barrel Öl in meinen Körper geknetet. Und dann muss ich raus auf einen Steinweg, zum Umherwandeln. Ein böser Architekt hat Zehntausende Kiesel in den Boden einfügen lassen, die alle mit ihrer spitzen Seite nach oben schauen. Das Umherwandeln tut höllisch weh, was mich aufregt und eigentlich kontraindiziert sein müsste. Aber die werden schon wissen, was sie tun - oder mich tun lassen.


Wie der Fußweg ist die komplette Anlage nach ayurvedischen Gesichtspunkten gebaut. Die Pfade zwischen Blumen und Palmen beispielsweise folgen verwirrenden Kurven, damit sich die Gäste auf den Weg konzentrieren müssen und so den Stress vergessen, den sie zurückließen, als sie hierherkamen. Am rundlich geschwungenen Pool, den ich mit Geborgenheit assoziiere, liegt ein deutsches Pärchen. Er liest ihr aus dem “Herrn der Ringe” vor. Ich bin sicher, dass sie längst eingeschlafen ist.

Wie ein Fantasy-Roman hört sich auch die Geschichte des Unternehmens an, in dessen Resort unser Feintuning überholt wird. Asoka Hettigoda erzählt sie, Tochter des Chefs, eine zierliche, quirlige Frau, deren ayurvedischer Dreiklang ihr offenbar ein Charisma bis knapp unter die Haarwurzeln beschert . Asoka erzählt, wie ihr Ururgroßvater auf der Suche nach Weisheit in den Himalaja pilgerte. Wie er dort einen Yogi traf, der ihm die Rezeptur eines heilenden Balsams anvertraute. Wie der Yogi prophezeite, Ururgroßvater werde ein Vermögen mit dem Balsam verdienen. Zum Dank solle er die Hälfte des Gewinns an die Armen geben. Asoka erzählt, wie die Hettigodas seitdem 50 Prozent aus dem Verkaufserlös jenes Balsams spenden. Bis heute.


Sollte man ihre Geschichte für eine zauberhaft gewebte Firmenlegende halten und diese Überlegung versehentlich offen aussprechen, dann packt einen Anoka ins Auto und fährt über Straßen voller Menschen, hupender Autos und auf dem Mittelstreifen meditierender Kühe hinaus nach Mount Lavinia. Dort haben die Hettigodas ein Ayurveda-Krankenhaus gebaut. Die Behandlung ist für alle kostenlos. “Das hat der Yogi damals gemeint”, sagt sie und beginnt, mit jedem Patienten im Wartezimmer zu plaudern. Wie gut, dass ich behäbiger Kapha-Typ bin, der lieber gemütlich rumsitzt und zuhört als aufgeregt auf spitzen Steinen zu wandeln.


Die Sprache der Einheimischen klingt übrigens, als kämen aus dem Mund Murmeln gerollt, ganz viele und ganz schnell, ein ganzer Sack voll bei jedem Satz. Lustigerweise sieht die Schrift auch so aus: Viele knubbelige, runde Kringel purzeln neben- und übereinander Richtung Satzende. Und erst die Namen! “Belimal, Ashwaganda Arishtaya, Dasamoola Ariwaya”. Was sich für europäische Ohren wie eine Beschwörungsformel anhört, sind die Zutaten für den Cocktail des Abends, den “Herbal Dream”. Balan Pushpendran mixt ihn, der Chefkoch des Resorts. Mittags und abends taucht er am Büfett auf und kontrolliert, wer was isst, denn Kapha-Menschen wie ich brauchen natürlich andere Speisen als Pitta-Wesen. Wenn Balan merkt, dass es einem schmeckt, lädt er für den nächsten Morgen zum Ayurveda-Kochkurs in seine Küche ein. Da lernt man dann, dass Curryblätter gut gegen einen hohen Cholesterinspiegel sind, scharfe Chilis dagegen keinen positiven Effekt haben. Die ayurvedische Küche macht kein großes Geheimnis um ihre Kunst: vegetarisch, ein Curry als Basis, variiert mit Gemüsen und immer wechselnden Gewürzen. “Zimt!”, ruft Balan, sei ganz wichtig für seine Kreationen und auf Deutsch so ein schönes Wort. Er mischt den Zimt in ein Okra-Curry und reicht einen Probierlöffel weiter. Himmlisch!


Das ist das Besondere an einem Aufenthalt im “Siddhalepa Ayurveda Health Resort”: Man darf, ach was, man soll hinter die Kulissen schauen. In Balans Küche, in den Kräutergarten und in die Fabrik der Hettigodas, in der 1500 Angestellte aus 800 verschiedenen Kräutern ayurvedische Produkte herstellen, die ihnen landesweit fast 3000 Zulieferer lastwagenweise herankarren. Dr. Weerasingha ist 87 und so etwas wie der Spiritual Rector des Unternehmens. In der Hand hält er ein Curryblatt und sagt mit leiser Stimme: “Sehen Sie sich dieses Blatt genau an! Haben Sie es betrachtet?” Habe ich, es ist ein Curryblatt, eindeutig. Das stimme, sagt Dr. Weerasingha, aber natürlich sei Blatt nicht gleich Blatt. “Zu welcher Jahreszeit wurde es gepflückt? Früh morgens oder in der Mittagshitze? In welcher Klimazone stand der Strauch? Wie alt war er? Nein, sagt er, man könne nicht einfach ein beliebiges Curryblatt nehmen und es zusammen mit 54 anderen Substanzen zu einem Massageöl verarbeiten. “Es gibt sehr detaillierte, bis zu 3000 Jahre alte Vorschriften zu diesem Blatt. Und Ihr im Westen bietet Kurse an, in denen man Ayurveda übers Wochenende lernen kann.” Dr. Weerasingha keckert leise. Dann verabschiedet er sich und schlurft zurück ins Büro. Sein Lachen bleibt noch ein paar Sekunden in der Luft hängen. Es vermischt sich mit dem Geruch von Tamarinde und Nelken.


Im Resort wartet der traurig dreinblickende Ayurveda-Arzt auf mich. Er misst den Blutdruck und scheint sehr zufrieden zu sein. Offensichtlich haben wir dieses aufmüpfige Vata in seine Schranken gewiesen. Wie lange ich denn noch bleiben sollte?, möchte ich wissen. Er nickt und verschreibt weitere Massagen, Wandelgänge und Bäder. Und er ermahnt mich: “Zwischen den Behandlungen machen Sie bitte nichts. Keine Interviews. Keine Recherchen. Überhaupt nichts.” Er ahnt, was ich antworten möchte, und bevor ich ein Wort rausgebracht habe, wird er kategorisch: “Nein! Das Notebook bleibt aus. Achten Sie lieber auf die Stille. Hören Sie auf das Rascheln der Palmen, lauschen Sie dem Meer, lernen Sie, die Vogelarten auseinanderzuhalten! Und zählen Sie die Blätter des Bodhibaumes über der Badewanne!” Und wenn ich schon weiß, dass es 87 sind? Er lächelt milde. “Ich bin sicher, dass Sie sich verzählt haben.”
 
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