Gefährdeter Waffenstillstand in Sri Lanka
Ultimatum des Rebellenchefs an den neuen Präsidenten
Der Anführer der tamilischen Rebellen hat der sri-lankischen Regierung ein Ultimatum gestellt. Er drohte für den Fall, dass der neugewählte Präsident bis Ende Jahr keinen akzeptablen Vorschlag für eine friedliche Lösung des Konflikts vorlegt, mit der Einsetzung einer tamilischen Regierung. Der Waffenstillstand ist brüchig geworden.
spl. Delhi, 27. November
Der Anführer der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), Prabhakaran, hat der sri-lankischen Regierung am Sonntag anlässlich seiner alljährlichen Rede zum «Heroes Day» ein Ultimatum gestellt. Das tamilische Volk habe endgültig die Geduld verloren, erklärte der Rebellenchef. Dies sei die letzte Warnung an die Adresse Colombos. Wenn der neugewählte Präsident bis Ende Jahr keinen akzeptablen Vorschlag für eine Lösung des ethnischen Konflikts vorlege, würden die Tamilen eine eigene Regierung ausrufen und den Kampf für die Selbstbestimmung wiederaufnehmen, drohte er.
Lösung nur in einem Einheitsstaat?
Nach dem Sieg des singhalesischen Hardliners Rajapakse bei den Präsidentenwahlen Mitte November war die Rede des kaum je in der Öffentlichkeit auftretenden Rebellenchefs mit Spannung erwartet worden. Rajapakse hatte im Wahlkampf eine härtere Gangart gegenüber den tamilischen Aufständischen angekündigt und eine Revision des Waffenstillstandsabkommens gefordert. Nach seinem Wahlsieg erklärte er zwar, er wolle den Friedensprozess neu beleben. Doch betonte er auch, eine Lösung des ethnischen Konflikts sei nur im Rahmen eines Einheitsstaats möglich. Was Rajapakse damit genau meinte, blieb unklar. Es klang aber ganz danach, als sei er vom Ziel abgerückt, ein föderales Staatsgebilde zu schaffen. Die LTTE, die während der Friedensgespräche unter starkem Druck ihre Forderung nach einem eigenen Staat aufgegeben hatten, werden sich jedoch niemals mit einer Lösung zufriedengeben, die den Tamilen nicht weitgehende Autonomie zugesteht.
Die Befreiungstiger kämpfen seit über 20 Jahren für die Unabhängigkeit der tamilischen Gebiete im Norden und Osten Sri Lankas. Über 60 000 Personen sind dem ethnischen Konflikt bereits zum Opfer gefallen. 2002 war unter norwegischer Vermittlung ein Waffenstillstand zwischen der Regierung und den Rebellen vereinbart worden. Bereits nach einem Jahr wurden die Friedensgespräche jedoch unterbrochen. Die Waffenruhe wird offiziell zwar weiterhin eingehalten. Sie ist in den vergangenen Monaten aber zusehends brüchiger geworden. Mit der Machtübernahme Rajapakses und seiner singhalesisch-chauvinistischen Verbündeten sind die Chancen einer friedlichen Lösung des Konflikts weiter gesunken.
Pessimistische Vermittler
Die Rebellen haben mit ihrem Wahlboykott freilich einiges zum Sieg des Falken Rajapakse beigetragen. Das lässt befürchten, dass auch die Rebellen bewusst auf eine Eskalation setzen. Der Boykott der Wahlen und die Rede Prabhakarans deuten darauf hin, dass die LTTE nicht mehr daran glauben, mit friedlichen Mitteln einen für sie akzeptablen Frieden erreichen zu können. Sie scheinen einen neuen Krieg in Kauf nehmen zu wollen. Beobachter befürchten, dass die Rebellen die Zeit des Waffenstillstands dazu genutzt haben aufzurüsten. Norwegische Diplomaten betonten zwar, sie seien weiterhin bereit zu vermitteln. Doch der norwegische Verhandlungsführer gab sich äusserst pessimistisch, was die Zukunft des Friedensprozesses angeht.
http://www.nzz.ch/2005/11/28/al/articleDD3ZA.html