Wenn das Reisfeld ruft
Ernte im Kinderdorf Little Smile Sri Lanka
„Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen!“ Von wegen Sri Lanka ist ein Paradies und alles fällt den Menschen einfach nur in den Schoß. Klar, wer sich die Früchte des Landes nur vom Buffet des Hotels holen braucht, der redet leicht vom tropischen Paradies. Wer aber mal im Reisfeld stand, für den passt Gottes zorniger Spruch nach der Vertreibung aus dem Paradies, nur dass es hier nicht um Brot sondern um Reis geht.
„Morning has broken – like the first morning“
Die tropische Natur mit ihrer unglaublichen Kraft. Sie kann verschwenderisch geben aber sie zeigt uns auch Grenzen auf. Es kann nie gegen sie sondern immer nur mit ihr funktionieren.
Es ist etwa 11 Uhr. Die kurze Teepause ist auch schon wieder eine kleine Ewigkeit her. Schon mit dem ersten Morgenlicht kurz vor 6 Uhr sind wir mehr als 1 Kilometer den steilen Hand hinunter geklettert ins triefend nasse Reisfeld, wir das heißt neben mir waren der 17jährige Maheshwaran, die 12jährige Warunia und die 15jährige Madushani die Ersten. Seit Wochen mussten wir unser Reisfeld gegen Affenhorden verteidigen, die bevorzugt in den frühen Morgenstunden regelrecht über die Felder herfielen. Da wir die Letzten waren konnten das bis zu 200 Affen auf einmal sein, die hier schlimme Verwüstungen anrichten konnten.
Jetzt so kurz vor der Ernte wollten wir denen nicht die geringste Chance geben. Die Gewitter des gestrigen Tages hatten ganz Arbeit geleistet. Das Blechdach der provisorischen Hütte ist weit verstreut, der Trockenplatz, also da, wo die geschnittenen Halme zusammengetragen und gedroschen werden sollen, erinnert an ein Moor, Teile der Felder sind überflutet, die Ablaufrinnen müssen erst wieder frei gegraben werden.
Unser Feld ist wegen der bergigen Lage in viele kleine Terrassen unterteilt und es ist gar nicht einfach, auf den schmalen Rändern nicht die Balance zu verlieren zumal in den letzten beiden Wochen Unkraut und Dornen gewuchert sind. Am schlimmsten ist eine violett blühende Mimosenart, bei der die Dornen wie Zacken einer Säge angeordnet sind. Wehe, man bleibt da hängen, im nu schneidet sich die Pflanze tief ins Fleisch und verliert dabei noch die Dornen, die dann einzeln rausgezupft werden müssen. Wie leichtfüßig Warunia doch auf dem schmalen Grad entlangläuft während ich immer wieder ausrutsche oder einsinke.
Madushani kam hierher als verstörtes und verängstigtes Mädchen. Längst nimmt die ungewöhnlich große 15jährige ihre Verantwortung für die jüngeren Mädchen im Moon-Light-Haus sehr ernst. Aber gerade auch bei harter Feldarbeit kann sie richtig hinlangen und das auch noch mit einem unbeschreiblichen Lächeln.
Wir werden bereits sehnsüchtig erwartet, nicht von den Affen, die schimpfend in den Urwaldbäumen auf ihre Chance warten, sondern von zahllosen Blutekeln. Feucht und heiß, genau das Klima brauchen diese wurmähnlichen Geschöpfe, die, wie aus dem Nichts, millionenfach die Gräser bevölkern. Gestern haben wir bereits alles hergerichtet, damit es heute schnell losgehen kann, denn die strahlende Morgensonne täuscht. Spätestens am Mittag werden uns dunkle Regenwolken vom Meer erreichen und gewaltig mit der aufgeheizten Luft hier zusammenkrachen. Täglich sterben Menschen durch Blitzschlag im Reisefeld also hat man sich und den geernteten Reis bis dahin besser in Sicherheit gebracht.
Nur wer selber mithilft, wer schwitzend und geplagt vom Ungeziefer mühsam den Reis geerntet hat, der wird nicht ein Korn davon mehr verschwenden und wegwerfen. Unser Reisfeld ist viel mehr ein lebendiger Unterrichtsraum als ein Wirtschaftfaktor. Und es ist der Ort, wo wir als Gemeinschaft, ja als Familie zusammenwachsen, weil hier Jeder Jedem hilft.
Schnell klettert die Sonne über die uns umgebenden Berge, es dampft und schon um 9 Uhr ist fast alle Feuchtigkeit aufgesaugt, hängt jetzt in der Luft, die sich schnell aufheizt, fast 5 Grad jede Stunde. Wenn dann um 10 Uhr der Tee gebracht wird, hat die Hitze die Blutekel in den Dschungel zurückgetrieben, doch die Ablösung in Gestalt Blut saugender Steckmücken ist längst eingetroffen.
Im Schweiße deines Angesichts … Von wegen! Der ganze Körper ist in Schweiß gebadet und das ist nicht nur bei mir so. Wir alle sind Teil dieser dampfenden Vegetation, wer da nicht genug trinkt den dreht sich plötzlich alles vor den Augen.
12 Uhr. Wenn die fast schwarzen Wolken es über die Berge geschafft haben, wenn wir sie hier unten im Seitental am Hang sehen, dann ist es fast schon zu spät. Zuerst wird der schon geerntete Reis abgedeckt und erst dann, oft schon völlig durchnässt, stellt man sich selber unter.
Wir sind zu spät dran, ich weiß das, aber damals, als wir pflanzen wollten haben uns die Nachbarn in der Nacht immer wieder das Wasser abgegraben. Es gab einfach nicht genug für alle, seit hier viele Bauern unserem Beispiel gefolgt sind und wieder Reis angepflanzt haben. Rein rechtlich hat der, der seine Felder weiter unten hat, das Nachsehen und wir liegen im oberen Drittel. Aber was nützt das, wenn heulende Frauen mit plärrenden Kindern vor dir stehen und betteln, dass wir doch mehr Wasser für ihre Felder nach unten durchlassen sollten, weil sie sonst hungern müssten und ich hätte doch genug zu essen auch ohne Reisfelder.
Noch wartet viel Arbeit, bis man den Reis auch essen kann. Ganz und gar nicht einfach ist es, ihn bei den ständigen Regengüssen, auch wirklich trocken zu bekommen und richtig zu säubern. Gut, dass es in Little Smile zwei große Trockenplätze gibt. Aber auch da heißt es ständig den Himmel beobachten und immer wieder ganz schnell einpacken.
Längst schleichen die dazugehöreigen Männer in der Nacht aus dem Urwald und lenken das Wasser um, egal ob ich jetzt Ja oder Nein sage. Also besser großzügig sein und das Gesicht wahren. Also habe ich nachgegeben und jetzt stehe ich im Regen weil wir dann so spät dran waren, dass uns genau zur Erntezeit der Zwischenmonsun erwischt hat.
Nach dem Vollmond am 28. April könnte vielleicht das Wetter anders werden – oder auch nicht. Auf jeden Fall sollten wir etwas im Hindutempel opfern und der Priester wäre auch bereit, gegen Bares versteht sich, bei den Göttern anzuklopfen. Wehe ich sage Nein, dann ist alles was schief geht meine Schuld und die Stimmung im Keller, also haben wir gestern mit dem Hindupriester um gutes Wetter gebettelt, ganz oben. Bis zum Vollmond warten können wir nicht mehr, die Körner fallen jetzt schon von den Ähren.
Als aber klar wurde, dass wir nun endgültig zur Tat schreiten werden, da häuften sich bei unseren Feldarbeitern die Krankheiten oder Todesfälle in der Verwandtschaft. Reisernte in den Bergen das ist kein Zuckerschlecken und so blieb mir nichts anderes übrig als am Samstag den 24. April mit unseren eigenen Kräften ans Werk zu gehen. Die Kinder ab 12 Jahren wurden in unterschiedliche Gruppen eingeteilt: Küchenhilfe für die nicht so starken, Transportdienste für die starken Läufer, die Erwachsenen zum Schneiden, die wenigen Männer zum Dreschen und Kinder wie Warunia oder Madushani, deren Energie grenzenlos scheint, um den Schnitt zum Dreschplatz zu bringen und später mit den Säcken voller Körner den steilen Hang hoch zu klettern. Das Schwatzen und Lachen der Morgenstunden ist längst verstummt, die schwüle Hitze und das Ungeziefer macht allen zu schaffen. Bioreis ist leider auch für alles mögliche Getier attraktiv. Wenigstens gibt es, dank der Regen, weniger giftige Schlangen, auf die man aufpassen muss.
Es stimmt, die Haut ist das bei weitem größte Organ des Menschen, wie könnte es sonst tausendfach gleichzeitig jucken? Lächeln, aufmuntern, organisieren, schleppen und immer wieder darüber staunen, mit welcher Kraft und inneren Stärke viele meiner Kinder zeigen, was in ihnen steckt. Wie schade, dass man ihnen in den staatlichen Schulen kaum die Chance gibt, etwas zu lernen, wie traurig, dass man dort all diese positive Energie brach liegen lässt, sie vielfach sogar beschädigt und unterdrückt.
Für heute ist es geschafft und ich bin völlig geschafft. Wie viele Kilometer ich wie viele Zentner geschleppt, wie viele Blutekel und Moskitos ich genährt habe, ich weiß es nicht und es ist auch egal. Wir hier in Little Smile sind, allen Widrigkeiten zum Trotz, wieder ein Stück näher zusammengerückt und haben gemeinsam etwas geschafft was uns keiner zugetraut hat.
„Nicht für die Schule sondern für das LEBEN lernen wir.“ Komisch, dass mir im Reisfeld in den Bergen Sri Lankas der Spruch einfällt, den uns oft unser Lateinlehrer vor 35 Jahren immer wieder mit auf dem Weg gegeben hat. Herr Philipp ist heute ein alter Mann, es geht ihm nicht sehr gut. Seit Jahren unterstützt er das, was ich hier tue, dabei war ich sicher nicht gerade ein Musterschüler in Latein. Es kommen und gehen viele Gedanken, wenn man hier in der Mittagshitze gegen bleierne Müdigkeit ankämpft. Als ich am Morgen diesen unbeschreiblichen Sonnenaufgang erlebt habe, also ich über die dampfenden Feld gegangen bin, umrahmt von gewaltigen Urwaldbäumen, beäugt von zahllosen Affenaugen aus dem undurchdringlich scheinenden Grün, mit einem Mal war da so ein ganz starkes Gefühl in mir, hier nur Teil eines viel größeren Ganzen zu sein. Als dann die Kinder runter liefen, voller Freude einem ganz sicher anstrengenden Tag entgegen, also sie lachend daherkamen mit den ersten Reisbündeln auf dem Kopf, da war mir klar, wir würden es schaffen, ganz egal ob uns der Wettergott gewogen sein wird oder nicht. Wir werden es schaffen, weil wir das für uns hier machen und für die, die zu klein und zu schwach sind um hier ihren Reis zu ernten.
Quelle:
http://www.littlesmile.de/Wenn-das-Reisfeld-ruft.349.0.html?&L=1